Rn 33
Grob fehlerhaft ist eine soziale Auswahl, wenn ein evidenter, ins Auge springender schwerer Fehler vorliegt und der Interessenausgleich, insbesondere bei der Gewichtung der Auswahlkriterien, jede Ausgewogenheit vermissen lässt oder tragende Gesichtspunkte nicht in die Bewertung einbezogen worden sind. Die getroffene Auswahl muss sich mit Blick auf den klagenden Arbeitnehmer im Ergebnis als grob fehlerhaft erweisen; nicht entscheidend ist, ob das Auswahlverfahren zu beanstanden ist. Auch ein mangelhaftes Auswahlverfahren kann zu einem richtigen, jedenfalls aber vertretbarem Auswahlergebnis führen, dass nicht grob fehlerhaft ist.
4.2.3.3.1 Verkennung der maßgeblichen Sozialdaten, insbesondere des Lebensalters
Rn 34
Ein grober Fehler liegt vor, wenn einzelne Sozialdaten überhaupt nicht, eindeutig unzureichend oder mit eindeutig überhöhter Bedeutung berücksichtigt worden sind.
Rn 34a
Allerdings können die Betriebsparteien im Rahmen der Sozialauswahl zulasten des Arbeitnehmers bedenken, dass die soziale Schutzbedürftigkeit zunächst mit steigendem Lebensalter und den damit typischerweise verbundenen geringeren Chancen, einen neuen Arbeitsplatz zu finden, zunimmt, sich diese Entwicklung aber umkehrt, je näher die versorgungsrechtliche Absicherung durch eine Rente wegen Alters rückt. Dieser Ambivalenz des Kriteriums "Lebensalter" darf bei dessen Gewichtung Rechnung getragen werden.
Rn 34b
So ist es nach der Rechtsprechung zulässig, in der Grupp der älteren Arbeitnehmer zwischen Arbeitnehmern, die zeitnah versorgungsrechtlich abgesichert sind und Arbeitnehmern, bei denen das noch nicht der Fall ist, zu differenzieren, beispielsweise indem ein Arbeitnehmer, der Regelaltersrente beziehen kann oder eine solche tatsächlich bezieht, jedenfalls hinsichtlich des Sozialauswahlkriteriums "Lebensalter" als deutlich weniger schutzbedürftig eingestuft wird als ein Arbeitnehmer ohne einen solchen Anspruch.
Rn 34c
Mit § 125 ist es ebenfalls vereinbar, den Umstand, dass der Arbeitnehmer nach den jeweiligen rentenversicherungsrechtlichen Voraussetzungen spätestens innerhalb von zwei Jahren nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses abschlagsfrei Rente wegen Alters beziehen kann, zulasten des Arbeitnehmers zu werten. Dies gilt unabhängig von der konkret zu erwartenden Rentenhöhe. Bei Zugrundelegung eines Punkteschemas können bei in diesem Sinne rentennahen Arbeitnehmern die für das Lebensalter vorgesehenen Sozialpunkte gekappt, Punkte abgezogen oder diese sogar auf null gesetzt werden.
Rn 34d
Dagegen darf die Möglichkeit des Bezugs einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen gemäß §§ 37, 236a SGB VI wegen der damit verbundenen mittelbaren Diskriminierung wegen der Behinderung auch im Anwendungsbereich des § 125 nicht in die Abwägung einbezogen werden. Die Möglichkeit eines Arbeitnehmers, eine Rente wegen Alters vorzeitig mit Abschlägen zu beziehen, darf in die Auswahlüberlegungen ebenfalls nicht eingestellt werden. Dies gilt auch in der Insolvenz und wäre "grob fehlerhaft" im Sinne von § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2.
4.2.3.3.2 Auswahlrelevanter Personenkreis
Rn 34e
Grob fehlerhaft ist die Sozialauswahl darüber hinaus, wenn bei der Bestimmung des Kreises vergleichbarer Arbeitnehmer die Austauschbarkeit offensichtlich verkannt worden ist oder bei der Anwendung des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG die betrieblichen Interessen augenfällig überdehnt worden sind. Daneben kann ein grober Fehler vorliegen, wenn der auswahlrelevante Personenkreis offensichtlich zu eng gezogen wurde. Die Betriebsparteien haben zwar eine Einschätzungsprärogative unter anderem hinsichtlich der tatsächlichen Austauschbarkeit der Arbeitnehmer und der zumutbaren Dauer der Einarbeitungszeit (oben Rn. 30). Eine Beschränkung der Vergleichbarkeit auf Arbeitnehmer, die ohne jede Einarbeitungszeit sofort austauschbar sind, ist aber in der Regel grob fehlerhaft.
4.2.3.3.3 Betriebsbegriff
Rn 35
Ein Unterfall der Verkennung des auswahlrelevanten Personenkreises ist die Verkennung des für die Sozialauswahl relevanten Betriebsbegriffs (§ 23 KSchG). Die Sozialauswahl ist nur grob fehlerhaft, wenn im Interessenausgleich der Betriebsbegriff selbst grob verkannt worden ist, seine Fehlerhaftigkeit als...