Rn 3
Anfechtbar nach Maßgabe der §§ 130 bis 146 sind alle Rechtshandlungen, die vor Verfahrenseröffnung vorgenommen worden sind und eine für die Insolvenzgläubiger benachteiligende Wirkung haben.
2.1 Begriff der Rechtshandlung
Rn 4
Rechtshandlungen in diesem Sinne sind alle Verhaltensweisen, die eine rechtliche Wirkung in Bezug auf die (künftige) Insolvenzmasse nach sich ziehen, so dass sowohl Verhaltensweisen des (künftigen) Insolvenzschuldners als auch solche seiner Gläubiger (z.B. Einzelzwangsvollstreckungen oder Arrestierungen, soweit sie nicht schon gemäß § 88 unwirksam sind) oder sonstiger Dritter (z.B. ein Schuldner des Insolvenzschuldners) einzubeziehen sind. Der Begriff ist im Interesse eines möglichst effektiven Schutzes der Insolvenzmasse weit zu fassen und umfasst damit insbesondere
Rn 5
- Willenserklärungen, die auf die Verwirklichung eines obligatorischen oder dinglichen Rechtsgeschäfts gerichtet sind (wobei auch für die Insolvenzanfechtung zwischen dem schuldrechtlichen Kausal- und dem dinglichen Vollzugsgeschäft zu unterscheiden ist, die Anfechtungsvoraussetzungen also grundsätzlich jeweils gesondert zu prüfen sind); zu den bei Aufrechnungserklärungen geltenden Besonderheiten siehe § 96 Rn. 11 ff.;
Rn 6
- rechtsgeschäftsähnliche Handlungen, aber auch Realakte wie Vermischung, Verarbeitung oder die Ansichnahme von Sicherungsgut;
Rn 7
- Prozesshandlungen (z.B. Verzicht, Vergleich oder Anerkenntnis), insbesondere auch in Form der Unterlassung (dazu sogleich Rn. 8);
Rn 8
- Unterlassungen – soweit wissentlich und willentlich erfolgt – (z.B. Unterlassung der Mängelanzeige nach § 377 Abs. 1 HGB oder der Herbeiführung der Verjährungsunterbrechung, Versäumung von Rechtsbehelfen, Nichtbestreiten im Prozess), die nunmehr gemäß § 129 Abs. 2 ausdrücklich dem aktiven Tun gleichgestellt worden sind, da sie die gleichen gläubigerbenachteiligenden Wirkungen haben können (zum maßgeblichen Zeitpunkt siehe Rn. 17);
Rn 9
- Rechtshandlungen des gesetzlichen (z.B. Eltern, Vormund, Betreuer oder Pfleger), organschaftlichen (z.B. Geschäftsführer, Vorstand) oder gewillkürten Vertreters des (künftigen) Insolvenzschuldners, da diese ihn als Geschäftsherren unmittelbar treffen;
Rn 10
- Rechtshandlungen des vorläufigen Insolvenzverwalters, durch welche z.B. ungesicherten Altgläubigern entgegen § 22 Abs. 1 Nr. 1 Sicherungen eingeräumt werden, es sei denn, dass dies zur Betriebsfortführung im Interesse der Masse ausnahmsweise notwendig war. Dies gilt auch dann, wenn vorläufiger und endgültiger Insolvenzverwalter identisch sind. Unerheblich ist ferner, ob ein allgemeines Verfügungsverbot erlassen wurde oder nicht. In beiden Fällen muss das Einzelinteresse des bevorzugten Gläubigers hinter dem Gleichbehandlungsgrundsatz (Rn. 1) zurücktreten. Dem Betroffenen bleibt es unbenommen, seinen durch die Rückgewährspflicht erlittenen Schaden gegenüber dem seinerzeit handelnden Amtsinhaber gemäß §§ 21 Abs. 2 Nr. 1, 60 geltend zu machen;
Rn 11
- Verrechnungen von Zahlungseingängen auf Girokonten, soweit diesen nicht schon ein gesetzliches Wirksamkeitshindernis entgegensteht;
Rn 12
- Sitzverlegungen und Veräußerungen von Unternehmen;
Rn 13
- Sozialpläne, die zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat geschlossen worden sind, da diese als Betriebsvereinbarungen nach der herrschenden "Vertragstheorie" durch rechtsgeschäftliche Vereinbarung zustande gekommen sind.
Rn 14
Bei einer Anfechtung einer Rechtshandlung mit Auslandsbezug ist Art. 102 Abs. 2 EGInsO zu beachten. Danach kann ein ausländischer Insolvenzverwalter eine Anfechtung nach der Rechtsordnung des Eröffnungsstaates, der so genannten lex fori concursus, im Inland nur durchsetzen, wenn die betreffende Rechtshandlung auch nach deutschem Recht anfechtbar wäre Umgekehrt gilt die Regelung aber auch für Inlandsinsolvenzen, so dass ein Insolvenzverwalter eine Rechtshandlung, die unter Geltung einer ausländischen Rechtsordnung vorgenommen wurde, nur dann wirksam anfechten kann, wenn sowohl die Anfechtungsvoraussetzungen der InsO als auch der entsprechenden Rechtsordnung des anderen Staates erfüllt sind. In beiden Fällen kann eine ergänzende Prüfung entfallen, wenn die Rechtshandlung, obwohl sie ausländischem Recht unterliegt, einen ganz überwiegenden Inlandsbezug aufweist, also z.B. keine ausländischen Interessen berührt sind.