Rn 2
Das Zwangsvollstreckungsverbot des § 210 gilt nur in der Zeit zwischen der Anzeige der Masseunzulänglichkeit und der Einstellung des Verfahrens bzw. bis zur Rücknahme der Masseunzulänglichkeitsanzeige; zu den Zwangsvollstreckungsmöglichkeiten nach der Einstellung des Verfahrens siehe § 215 Rn. 18 f.
Rn 3
§ 210 ergänzt die in §§ 208, 209 getroffenen Regelungen durch ein gesetzliches Zwangsvollstreckungsverbot, durch das die in § 209 festgelegte Rangfolge der Befriedigung von Massegläubigern "zwangsvollstreckungssicher" gemacht wird. Das Verbot ist notwendig, um zu verhindern, dass auf vollstreckungsrechtlichem Wege die in § 209 niedergelegte Reihenfolge der Befriedigung der Massegläubiger umgangen und durch Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen von Altmassegläubigern die Insolvenzmasse vorzeitig ausgehöhlt wird. Gegenüber den einfachen Insolvenzgläubigern gewährt § 89 Schutz, so dass § 210 – als Schwestervorschrift zu dieser Norm – das Verbot über den Kreis der Insolvenzgläubiger hinaus auf die Altmassegläubiger ausdehnt. Die Regelung des § 90 allein gewährt keinen ausreichenden Schutz, da sie nur während der ersten sechs Monate nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens wirkt und sich das dortige Verbot nur auf Verbindlichkeiten, die nicht durch Rechtshandlungen des Insolvenzverwalters begründet wurden, bezieht. § 123 Abs. 3 Satz 2 hingegen betrifft nur die Gläubiger eines Sozialplans.
Rn 4
Die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung ist von Amts wegen zu berücksichtigen. Der Verwalter hat darauf zu achten, die Unterdeckung rechtzeitig geltend zu machen, wobei ihm jedoch das Ermessen zusteht zu entscheiden, wann und ob er die eingetretene Masseunzulänglichkeit anzeigt. Trotz der Schwere des Verfahrensfehlers ist eine Vollstreckung nicht ohne jede Wirkung. Sie führt zur Verstrickung des gepfändeten bzw. beschlagnahmten Massebestandteils.
Rn 5
Erwirbt ein Altmassegläubiger nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit einen Gegenstand aus der Insolvenzmasse, findet das Aufrechnungsverbot, § 96, analoge Anwendung.
Rn 6
Der Verwalter hat die Möglichkeit, die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung mit der Erinnerung nach § 766 ZPO geltend zu machen, da ein Einwand gegen die derzeitige Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung (und nicht gegen den geltend gemachten Anspruch) erhoben wird. Den Neumassegläubigern selbst steht kein Erinnerungsrecht zu, weil deren Interessen ausschließlich vom Insolvenzverwalter wahrgenommen werden. Analog § 89 Abs. 3 ist für die Erinnerung nicht das Vollstreckungs-, sondern das Insolvenzgericht zuständig.
Rn 7
Sofern der Insolvenzverwalter davon ausgeht, dass die Altmassegläubiger (nach § 209 Abs. 1 Nr. 3) teilweise Befriedigung erhalten werden, und lässt sich der Umfang der Befriedigung bereits bestimmen, so muss ihnen die Zwangsvollstreckung in dieser Höhe weiterhin verwehrt werden, da nicht absehbar ist, ob neue Verfahrenskosten gemäß § 54 oder Neumassegläubiger hinzukommen, die der absehbaren Befriedigung entgegenwirken. Es ist insoweit keine teleologische Reduktion des gesetzlichen Verbots vorzunehmen.
Rn 8
Das Vollstreckungsverbot kann nicht die Geltendmachung von Aus- bzw. Absonderungsrechten verhindern, weil Gegenstände, die der Aussonderung unterliegen, von vornherein nicht Bestandteil der Insolvenzmasse sind und es folglich auch durch eine Anzeige des Verwalters nicht werden können. Im Übrigen widerspricht eine solche Ausdehnung dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift, die sich lediglich auf (Alt-)Masseverbindlichkeiten i. S. d. § 209 Abs. 1 Nr. 3 bezieht.
Rn 9
Das Vollstreckungsverbot greift auch gegenüber vorläufig vollstreckbaren, aber noch nicht rechtskräftigen Titeln ein. Es besteht kein Rechtsschutzbedürfnis an der Erlangung eines vollstreckbaren Titels gegen die Insolvenzmasse, sofern bereits feststeht, dass keine Vollstreckung erlaubt ist. Daher ist auch ein Kostenfestsetzungsverfahren gegen den Insolvenzverwalter bei Masseunzulänglichkeit unzulässig. Dies gilt auch für den Fall, dass gegenüber den Neumassegläubigern Masseunzulässigkeit analog § 210 eingetreten ist.
Rn 10
Werden dem Vollstreckungsverbot zuwider Maßnahmen durchgeführt, so unterliegen die daraus erlangten Gegenstände der Rückabwicklung durch das Bereicherungsrecht.