Rn 73
Da bereits im Eröffnungsverfahren entscheidende Weichenstellungen für die künftige Sanierung des Schuldnerunternehmens getroffen werden müssen und regelmäßig eine Fortführung des Unternehmens erfolgt, stellen sich vielfach arbeitsrechtliche Fragen. Leider hat der Gesetzgeber die Bedeutung des Arbeitsrechts für den Erhalt der Sanierungschancen im Eröffnungsverfahren kaum erkannt. Dem vorläufigen Insolvenzverwalter fehlt es daher häufig an hinreichend effektiven arbeitsrechtlichen Instrumenten im Eröffnungsverfahren, da die insolvenzrechtlichen Sonderbestimmungen weitgehend das eröffnete Verfahren betreffen.
Rn 74
Lohn- und Gehaltszahlungen begründen grundsätzlich nur eine Insolvenzforderung, wenn sie aus der Zeit vor Insolvenzeröffnung stammen. Wird jedoch ein starker vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt, sind auch die Lohn- und Gehaltszahlungen gemäß § 55 Abs. 2 Satz 2 als Masseverbindlichkeiten zu qualifizieren. Dies gilt im Übrigen auch für Honoraransprüche eines Beraters des Betriebsrats. Eine Insolvenzanfechtung kommt aus Gründen des Vertrauensschutzes grundsätzlich nicht in Betracht, wenn die Zahlungen von dem vorläufigen Verwalter veranlasst wurden oder mit dessen Zustimmung erfolgt sind. Auch Lohn- und Gehaltszahlungen des Schuldners unterliegen wegen des Bargeschäftsprivilegs des § 142 nicht der Anfechtung nach § 130.
Rn 75
Der Arbeitnehmer ist nicht berechtigt, den Arbeitsvertrag aus wichtigem Grund zu kündigen, nur weil ein Insolvenzantrag gestellt worden ist. Insoweit müssen zumindest erhebliche Lohnrückstände vorliegen.
4.2.1 "Starke" vorläufige Insolvenzverwaltung
Rn 76
Der starke vorläufige Insolvenzverwalter nimmt mit Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis die Arbeitgeberbefugnisse und -pflichten wahr und steht insoweit dem Insolvenzverwalter des eröffneten Verfahrens gleich. Er alleine ist zur Kündigung von Arbeitsverhältnissen befugt. Allerdings kommen ihm die insolvenzrechtlichen Sonderregelungen der §§ 113 ff. nicht zugute (vgl. die Kommentierung zu § 113 Rdn. 5 und Rdn. 30). Der vorläufige Verwalter kann daher Arbeitsverhältnisse nur unter Berücksichtigung der allgemeinen gesetzlichen bzw. einschlägigen einzel- oder tarifvertraglichen Bestimmungen kündigen. Dabei hat er die Mitwirkungsrechte des Betriebsrats ebenso zu berücksichtigen wie ansonsten der Arbeitgeber in den im Betriebsverfassungsgesetz bestimmten Fällen. Aufgrund seiner umfassenden Befugnisse kann ein vorläufiger Verwalter auch einen Sozialplan abschließen, der aber nach späterer Verfahrenseröffnung der Möglichkeit eines Widerrufs nach § 124 Abs. 1 unterliegt.
Unternimmt der vorläufige Insolvenzverwalter eine Unternehmensstilllegung ohne die erforderliche Zustimmung des Insolvenzgerichts (§ 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2) eingeholt zu haben, führt dies nicht zu einer Unwirksamkeit der Kündigung, da die Vorschrift keine Kündigungsschutznorm ist.
Anhängige Arbeitsrechtsstreite werden durch die Bestellung des starken vorläufigen Insolvenzverwalters unterbrochen (§ 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG i. V. m. § 240 Satz 2 ZPO). Das Rubrum muss auf den vorläufigen Insolvenzverwalter berichtigt werden und neue Klagen, insb. eine Kündigungsschutzklage, müssen sich gegen ihn richten.
4.2.2 "Schwache" vorläufige Insolvenzverwaltung
Rn 77
Im Gegensatz dazu kann der schwache vorläufige Insolvenzverwalter nur gemeinsam mit dem Schuldner agieren. Der Schuldner behält mithin seine Arbeitgeberbefugnisse. Weigert er sich jedoch, die vom vorläufigen Verwalter verlangten Kündigungen auszusprechen, wird das Gericht eine "Hochstufung" zum starken vorläufigen Verwalter erwägen. Das Gericht kann alternativ den schwachen vorläufigen Verwalter zur Kündigung von Arbeitsverhältnissen ermächtigen. Auch die Ermächtigung, zur Ausübung der Arbeitgeberbefugnisse und/oder mit dem Betriebsrat Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen zu führen, ist zulässig. In beiden Fällen darf aber eine pauschale Übertragung nicht erfolgen, wenn Verbindlichkeiten zu Lasten der Masse begründet werden sollen, da insoweit die Grundsätze der Einzelermächtigung anzuwenden sind (s. o. Rdn. 57).
Wird ein Zustimmungsvorbehalt angeordnet, bedarf die Kündigung durch den Schuldner der Zustimmung des v...