Rn 90
Der in § 22 Abs. 1 geregelte Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners auf den vorläufigen Insolvenzverwalter hat Auswirkungen auf die laufenden und zukünftigen Prozesse, denn die Prozessführungsbefugnis für alle das verwaltete Schuldnervermögen betreffenden Prozesse geht auf den starken vorläufigen Verwalter über, der Partei kraft Amtes wird (zum schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter s. u. Rdn. 93). Laufende Zivilprozesse werden gemäß § 240 Satz 2 ZPO unterbrochen, wenn die Klageschrift bereits zugestellt worden ist (vgl. auch die Kommentierung zu § 24). Über eine Verweisung in den jeweiligen Prozessordnungen gilt dies auch für Arbeits-, Verwaltungs-, Finanz- und Sozialrechtsstreite. Ausnahmen bilden selbständige Beweisverfahren, Prozesskostenhilfeprüfverfahren, Verfahren nach dem SpruchG, Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, Klauselerteilungsverfahren oder Einzelzwangsvollstreckungsverfahren. Auch behördliche Verwaltungsverfahren werden – mit Ausnahme steuerlicher Verfahren – nicht unterbrochen.
Rn 91
Gemäß § 24 Abs. 2 gelten für die Aufnahme anhängiger Rechtsstreitigkeiten die Vorschriften in § 85 Abs. 1 Satz 1 und § 86 entsprechend. Damit hat der vorläufige Verwalter gemäß § 85 Abs. 1 Satz 1 die Möglichkeit, für eine Mehrung der Masse vorteilhafte Aktivrechtsstreitigkeiten schon vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufzunehmen und damit beispielsweise für eine Betriebsfortführung dringend benötigte Vermögenswerte zu realisieren. Dagegen kann anders als im eröffneten Verfahren der Beklagte gegen den Willen des vorläufigen Verwalters die Aufnahme entsprechend § 239 Abs. 2–4 ZPO nicht herbeiführen, da § 85 Abs. 1 Satz 2 im Eröffnungsstadium nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 24 Abs. 2 nicht anwendbar ist. Gleiches gilt für den in § 85 Abs. 2 geregelten Fall, dass der vorläufige Verwalter die Aufnahme des Rechtsstreits ablehnt. Die Aufnahme des Rechtsstreits durch den Schuldner bzw. den Gegner soll demnach ausschließlich einem eröffneten Verfahren vorbehalten bleiben.
Rn 92
Gleichermaßen hat der vorläufige Verwalter nunmehr die Möglichkeit, unter bestimmten in § 86 Abs. 1 geregelten Voraussetzungen auch Passivprozesse für den Schuldner aufzunehmen, wenn er dies zur Sicherung und Erhaltung des Schuldnervermögens als erforderlich ansieht. Auch der Kläger solcher Passivprozesse kann unter den genannten Voraussetzungen den Rechtsstreit aufnehmen. Schließlich steht nach § 86 Abs. 2 i. V. m. § 24 Abs. 2 dem vorläufigen Verwalter bereits in diesem Verfahrensstadium nach Aufnahme des Passivprozesses die Möglichkeit zu, den gegen den Schuldner geltend gemachten Anspruch sofort anzuerkennen, um damit den Kostenerstattungsanspruch im nachfolgenden eröffneten Insolvenzverfahren zu einer reinen Insolvenzforderung herabzustufen.
Rn 93
Für den schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter gelten die obigen Ausführungen nicht, da er in Ermangelung einer Verfügungsbefugnis grundsätzlich nicht prozessführungsbefugt ist. Anhängige Prozesse werden nicht unterbrochen (vgl. auch die Kommentierung zu § 24). Der vorläufige Verwalter kann mithin in den Prozessen des Schuldners allenfalls als Streithelfer auftreten. Das Insolvenzgericht kann den schwachen vorläufigen Verwalter jedoch ermächtigen zur Sicherung oder Erhaltung der Masse Prozesse als gewillkürter Prozessstandschafter (§ 51 ZPO) zu führen, wobei insoweit dem Schuldner ein besonderes Verfügungsverbot auferlegt werden muss. Die Ermächtigung ist für das Prozessgericht bindend, scheidet aber für Anfechtungsprozesse aus, denn diese sind dem Verwalter des eröffneten Verfahrens vorbehalten. Darüber hinaus ist der vorläufige Verwalter auch nicht ausnahmsweise originär prozessführungsbefugt soweit er Besitzschutzansprüche aus §§ 861, 862 BGB verfolgt (s. o. Rn. 40). Das Gleiche gilt für die Durchsetzung eines Vollstreckungsverbots oder Einstellungsanträge nach § 30 Abs. 4 ZVG.