Rn 109
§ 22 Abs. 3 Satz 1 ermächtigt jeden vorläufigen Insolvenzverwalter dazu, die Geschäftsräume des Schuldners zu betreten und dort Nachforschungen anzustellen. Über Notwendigkeit sowie Art und Weise der Umsetzung seines Betretungsrechts kann der vorläufige Verwalter selbständig entscheiden. Weigert sich der Schuldner, dem vorläufigen Verwalter das Betreten der Geschäftsräume zu gestatten, kann das Betretungsrecht auch ohne zusätzliche ausdrückliche richterliche Durchsuchungsanordnung zwangsweise durchgesetzt werden. Die Vorschriften über die Maßnahmen bei Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung dienen der Sicherung des Schuldnervermögens und stellen eine verfassungsrechtlich ausreichende Ermächtigungsgrundlage dar. Zur Vermeidung unnötiger und vor allen Dingen zeitraubender Rechtsbehelfe seitens des Schuldners empfiehlt es sich, klarstellend einen entsprechenden Hinweis auf das Betretungsrecht in den Ernennungsbeschluss für den vorläufigen Verwalter aufzunehmen.
Rn 110
Der Beschluss, der die Bestellung eines vorläufigen Verwalters anordnet, ist ein Vollstreckungstitel i. S. d. § 794 Abs. 1 Nr. 3 ZPO und kann mithilfe des Gerichtsvollziehers vollstreckt werden (§ 883 ZPO). Auch eine Anordnung zur Durchsuchung durch den Gerichtsvollzieher ist gem. § 4 i. V. m. §§ 748 Abs. 1, 883 Abs. 1 ZPO zulässig. Unter vollstreckungsrechtlichen Gesichtspunkten ist gem. § 4 i. V. m. 724 ZPO eine vollstreckbare Ausfertigung des gerichtlichen Beschlusses über die Anordnung der Sicherungsmaßnahmen notwendig, denn auch soweit andere Gesetze zur Vollstreckung auf die ZPO verweisen, ist grundsätzlich eine Klausel erforderlich. Der mit einer Vollstreckungsklausel zugunsten des vorläufigen Verwalters versehene Beschluss ist dann dem Gerichtsvollzieher zusammen mit dem zu erteilenden Zwangsvollstreckungsauftrag vorzulegen. Weitere Festlegungen, etwa welche Räume betreten werden dürfen oder welche konkreten Nachforschungen im Wege der Zwangsvollstreckung durchgesetzt und angestellt werden sollen, müssen aufgrund des Sicherungszwecks der angeordneten vorläufigen Insolvenzverwaltung weder ausdrücklich in dem Beschluss noch in die Vollstreckungsklausel aufgenommen werden. Das Nachforschungs- und Betretungsrecht des vorläufigen Verwalters ist mit Rücksicht auf die ihm zugewiesenen Aufgaben und Sicherungszwecke als umfassend anzusehen.
Rn 111
Ein Betreten und eine Durchsuchung der Privaträume des Schuldners sieht § 22 Abs. 3 nicht vor. Dies gilt auch für den starken vorläufigen Verwalter. Soweit die Gegenansicht das Betretungsrecht aus der Befugnis zur Inbesitznahme der Masse ableiten möchte, wird verkannt, dass ein unspezifisches Betretungsrecht wesentlich weitgehender ist, als die Befugnis zur Sicherung konkreter, bereits bekannter Gegenstände. Insoweit kann der Verwalter aber eine gerichtliche Anordnung nach § 21 Abs. 1 anregen (vgl. die Kommentierung zu § 21 Rdn. 20). Wenn jedoch konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Schuldner den Geschäftsbetrieb zu wesentlichen Teilen in seinen Privaträumen betreibt, kann § 22 Abs. 3 direkt angewandt werden. Kommt es zum Streit über das Betretungsrecht, ist das Insolvenzgericht zur Entscheidung berufen, nicht das Prozess- oder Vollstreckungsgericht.