Rn 30
Durch den Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners auf den starken vorläufigen Insolvenzverwalter (§ 22 Abs. 1) werden laufende Zivilprozesse gemäß § 240 Satz 2 ZPO unterbrochen. Voraussetzung ist jedoch, dass die Klageschrift bereits zugestellt worden ist. Über eine Verweisung in den jeweiligen Prozessordnungen gilt dies auch für Arbeits-, Verwaltungs-, Finanz- und Sozialrechtsstreite. Ausnahmen bilden selbständige Beweisverfahren, Prozesskostenhilfeprüfverfahren, Verfahren nach dem SpruchG, Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, Klauselerteilungsverfahren oder Einzelzwangsvollstreckungsverfahren. Auch behördliche Verwaltungsverfahren werden – mit Ausnahme steuerlicher Verfahren – nicht unterbrochen. Bei Anordnung einer schwachen vorläufigen Insolvenzverwaltung kommt es nicht zur Unterbrechung, da der Verwalter in Ermangelung einer Verfügungsbefugnis grundsätzlich nicht prozessführungsbefugt ist. Die prozessrechtlichen Auswirkungen der Anordnung einer vorläufigen Insolvenzverwaltung werden im Übrigen umfassend kommentiert bei § 22 Rn. 90 ff.
Rn 31
Gemäß § 24 Abs. 2 gelten für die Aufnahme anhängiger Rechtsstreitigkeiten die Vorschriften in § 85 Abs. 1 Satz 1 und § 86 entsprechend. Die Anwendung von § 24 Abs. 2 setzt nach dem eindeutigen Wortlaut einen starken vorläufiger Insolvenzverwalter mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis voraus. Wird dem Schuldner im Eröffnungsverfahren hinsichtlich der von ihm geführten Aktiv- und Passivprozesse ein (besonderes) Verfügungsverbot auferlegt und der schwache vorläufige Verwalter ermächtigt, Aktiv- und Passivprozesse des Schuldners zu führen, führt dies zu einer Unterbrechung rechts-hängiger Verfahren. In der Folge kann sich ausnahmsweise auch der solchermaßen ermächtigte schwache vorläufige Insolvenzverwalter auf § 24 Abs. 2 berufen. Der vorläufige Verwalter hat gemäß § 85 Abs. 1 Satz 1 die Möglichkeit, für eine Mehrung der Masse vorteilhafte Aktivrechtsstreitigkeiten schon vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufzunehmen und damit beispielsweise für eine Betriebsfortführung dringend benötigte Vermögenswerte zu realisieren. Dagegen kann anders als im eröffneten Verfahren der Beklagte gegen den Willen des vorläufigen Verwalters die Aufnahme entsprechend § 239 Abs. 2 bis 4 ZPO nicht herbeiführen, da § 85 Abs. 1 Satz 2 im Eröffnungsstadium nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 24 Abs. 2 nicht anwendbar ist. Gleiches gilt für den in § 85 Abs. 2 geregelten Fall, dass der vorläufige Verwalter die Aufnahme des Rechtsstreits ablehnt. Die Aufnahme des Rechtsstreits durch den Schuldner bzw. den Gegner soll demnach ausschließlich einem eröffneten Verfahren vorbehalten bleiben.
Rn 32
Im Gegensatz zur etwas missverständlichen Gesetzesüberschrift handelt es sich nicht nur um Aktivprozesse im technischen Sinne, bei denen also der Schuldner als Kläger auftritt, sondern um alle Rechtsstreitigkeiten, in denen der Schuldner die Realisierung eigener Vermögenswerte bzw. Rechte verfolgt. Dies kann beispielsweise auch dann der Fall sein, wenn der Schuldner Beklagter einer Vollstreckungsabwehrklage gemäß § 767 ZPO ist, die erhoben wurde, um die Vollstreckung eines titulierten Anspruchs des Schuldners zu verhindern. Die Aufnahme des Rechtsstreits erfolgt durch den vorläufigen Insolvenzverwalter nach den allgemeinen zivilprozessualen Vorschriften durch Zustellung eines bei Gereicht einzureichenden Schriftsatzes (§ 250 ZPO). Nicht vermögensrechtliche Streitigkeiten unter Beteiligung des Schuldners sowie hinsichtlich solcher Gegenstände, die nicht dem Insolvenzmassebegriff des § 35 unterfallen, können vom vorläufigen Insolvenzverwalter weder aufgenommen, noch geführt werden. Die Berechtigung einen neuen Rechtsstreit zu beginnen, ergibt sich nicht aus § 24, sondern folgt für den starken vorläufigen Insolvenzverwalter aus dem Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis selbst (§ 22 Abs. 1 Satz 1).
Rn 33
Der vorläufige Verwalter muss seine Entscheidung über die Fortsetzung anhängiger Rechtsstreitigkeiten an den in § 22 Abs. 1 niedergelegten Sicherungs- und Erhaltungszweck orientieren. Er darf daher im Eröffnungsverfahren nur prozessuale Erklärungen abgeben, die zum Erreichen der mit der vorläufigen Insolvenzverwaltung verbundenen Verfahrenszwecke der Sicherung, Erhaltung und Vorbereitung einer Sanierung erforderlich sind. Im Übrigen sind prozessuale Entscheidungen dem erst später ggf. zu eröffnenden Verfahren vorbehalten. Es dürfen also außerhalb des im Einzelfall zu konkretisierenden Rahmens des Eröffnungsverfahrens keine Fakten geschaffen werden, die eigentlich erst in einem eröffneten Verfahren der Entscheidung der Gläubiger überlassen bleiben sollten. Die Abgrenzung gestaltet sich zugegebenermaßen in der Praxis manchmal schwierig, jedoch sollte sich der vorläufige Insolvenzverwalter stets seines gegenüber dem späteren Insolvenzverwalter abweichenden Pflichtenkreises bewusst sein. In Grenzfällen sollte de...