Rn 3

Die Aufhebung der Eigenverwaltung ist aus verschiedenen Gründen gerechtfertigt. Die Prägung des Insolvenzverfahrens durch den Grundsatz der Gläubigerautonomie gebietet nicht nur, die Anordnung der Eigenverwaltung in die endgültige Beschlusskompetenz der Gläubigerversammlung zu legen, sondern auch deren Aufhebung (Abs. 1 Nr. 1). Der Schutz der Individualrechte der absonderungsberechtigten Gläubiger oder der Insolvenzgläubiger erfordert es, dass diese die Aufhebung der Eigenverwaltung bewirken können, wenn ihnen erhebliche Nachteile drohen (Abs. 1 Nr. 2). Schließlich muss die Eigenverwaltung auch dann aufgehoben werden können, wenn der Schuldner nicht mehr zur erforderlichen Mitwirkung bereit oder in der Lage ist (Abs. 1 Nr. 3). Die Aufzählung der Gründe ist abschließend, eine Aufhebung der Eigenverwaltung von Amts wegen ist grundsätzlich nicht möglich.[2]

[2] Lediglich in extremen Ausnahmefällen wird man eine Aufhebung der Eigenverwaltung analog § 59 erwägen können, so auch HambKomm-Fiebig, 4. Aufl. 2012, § 272 InsO Rn. 11.

3.1 Antrag der Gläubigerversammlung

 

Rn 4

Den Gläubigern im Insolvenzverfahren obliegt es, im Rahmen einer Gläubigerversammlung über die Aufhebung der Eigenverwaltung zu befinden. Zusätzlich zum Berichtstermin gemäß § 156 ist eine Gläubigerversammlung dann einzuberufen, wenn dies gemäß § 75 beantragt wird. Dem Gläubigerausschuss alleine steht kein Recht zur Beantragung der Aufhebung zu, auch wenn er vom Sachwalter nach § 274 Abs. 3 über die bevorstehenden Nachteile informiert wurde. Er kann lediglich die Einberufung einer Gläubigerversammlung beantragen, damit diese entscheiden kann. Abs. 1 Nr. 1 gibt daher der Gläubigergesamtheit die Möglichkeit, durch Beschluss die Aufhebung der Eigenverwaltung zu beantragen.

 

Rn 5

Der Beschluss der Gläubigerversammlung, mit dem die Aufhebung beantragt wird, muss allerdings mit der Summenmehrheit gemäß § 76 Abs. 2 (Summe der Forderungsbeträge der zustimmenden Gläubiger übersteigt die Hälfte der Summe der Forderungsbeträge der abstimmenden Gläubiger) und der Kopfmehrheit der abstimmenden Gläubiger gefasst werden. Das Erfordernis der Kopfmehrheit wurde erst durch das ESUG eingeführt und dient dazu, die Durchsetzung von Einzelinteressen geschickt agierender Großgläubiger zu verhindern (qualifizierte Mehrheit). Der Beschluss der Gläubigerversammlung muss nicht begründet werden.

 

Rn 6

Hinzuweisen ist auf die Entscheidung des BGH[3], wonach einzelnen Gläubigern kein Recht nach § 78 zusteht, die Aufhebung des Beschlusses der Gläubigerversammlung deswegen zu beantragen, weil er dem gemeinsamen Interesse der Insolvenzgläubiger widerspreche. Der Entscheidung ist zuzustimmen, weil das Widerspruchsrecht eines Gläubigers das Gericht dazu zwänge, eben jene Abwägungen, die die Gläubigerversammlung insgesamt und ohne Begründungszwang vornehmen soll, nachzuvollziehen. Letztendlich müsste das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung an die Stelle des Beschlusses der Gläubigerversammlung setzen und hierfür eine Begründung angeben. Das widerspricht aber dem Sinn des § 272, die Entscheidung über die Aufhebung der Eigenverwaltung unter Abwägung der Gläubigergesamtinteressen in die Hände der Gläubigerversammlung zu legen (Gläubigerautonomie).

3.2 Antrag eines Gläubigers

 

Rn 7

Auch ein absonderungsberechtigter Gläubiger (§§ 49ff.) oder Insolvenzgläubiger (§ 38) kann die Aufhebung der Eigenverwaltung beantragen. Zunächst muss dafür die Voraussetzung des § 270 Abs. 2 Nr. 2 weggefallen sein. Die Anordnung der Eigenverwaltung setzt voraus, dass keine Umstände bekannt sind, die erwarten lassen, dass die Anordnung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird. Insoweit ist eine Korrekturmöglichkeit dafür vorhanden, dass dem Schuldner bei Beantragung der Eigenverwaltung nicht dadurch Hürden in den Weg gelegt werden sollen, dass Unklarheiten über mögliche Nachteile für die Gläubiger in der Kürze der Zeit, in der über die Anordnung der (vorläufigen) Eigenverwaltung entschieden werden muss, nicht vollständig aufgeklärt werden können. Solche Unklarheiten gehen weder bei Anordnung der Eigenverwaltung[4], noch bei einem Aufhebungsantrag[5] zu Lasten des Schuldners.

 

Rn 8

Werden aber im Laufe der Zeit Umstände bekannt, die erwarten lassen, dass die Eigenverwaltung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird[6] und kann der betroffene Gläubiger darlegen, dass ihm selbst erhebliche Nachteile durch die Eigenverwaltung drohen, rechtfertigt sein Antrag die Aufhebung der Eigenverwaltung. Abs. 1 Nr. 2 dient daher dem Individualrechtsschutz des gefährdeten Gläubigers, ein altruistischer Antrag ist dagegen nicht möglich.[7] Ist ein Gläubiger selbst nicht gefährdet, kann er lediglich in unaufschiebbaren Fällen die Anordnung eines Zustimmungsvorbehaltes gemäß § 277 Abs. 2 beantragen. Bei der Entscheidung ist zu berücksichtigen, dass die Eigenverwaltung trotz Überwachung durch den Sachwalter ein erhebliches Risiko für den Gläubiger bedeutet, weil z.B. im eröffneten Insolvenzverfahren vo...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge