Rn 27
§ 304 Abs. 1 Satz 1 eröffnet den Anwendungsbereich des Verbraucherinsolvenzverfahrens für Personen, die keine selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit ausüben oder ausgeübt haben. An der ursprünglichen Konzeption, natürlichen Personen, die lediglich eine geringfügige selbstständige Tätigkeit ausüben, den Weg in das Verbraucherinsolvenzverfahren zu eröffnen, wird seit dem in Kraft treten des InsO-ÄndG am 01.12.2001 nicht mehr festgehalten.
2.1.1 Selbstständige und gleichgestellte Personen
Rn 28
Die Regelung in § 304 greift nicht auf den allgemeinen Verbraucher- und Unternehmerbegriff (§§ 13, 14 BGB) zurück, sondern definiert einen eigenständigen Anwendungsbereich. Gleichwohl können die dort entwickelten Grundsätze zur Auslegung des § 304 ergänzend herangezogen werden. Eine selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit liegt grundsätzlich vor, wenn sie im eigenen Namen, in eigener Verantwortung, für eigene Rechnung und auf eigenes Risiko ausgeübt wird, also bei gewerblicher Tätigkeit, aber auch bei Ausübung freier Berufe, die kraft Gesetzes oder kraft Überlieferung nicht dem gewerblichen Bereich zugeordnet sind.
Rn 29
Personen, die beim Abschluss von Rechtsgeschäften in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbstständigen beruflichen Tätigkeit handeln, werden auch nach der Legaldefinition des § 14 Abs. 1 BGB als "Unternehmer" bezeichnet, die also am Markt planmäßig und dauerhaft Leistungen gegen Entgelt anbieten, wobei es auf die Absicht einer Gewinnerzielung nicht ankommt. Unternehmer sind in erster Linie Gewerbetreibende. Gemäß § 14 Abs. 1 BGB ist aber auch Unternehmer, wer z. B. als Angehöriger eines sogenannten "freien Berufs" als Apotheker, Architekt, Dolmetscher, Rechtsanwalt, Steuerberater, Übersetzer, Wirtschaftsprüfer oder Zahnarzt tätig ist oder in selbstständiger Weise Dienstleistungen ausführt. Die sogenannten Freiberufler üben deshalb ebenfalls eine selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit aus, auch wenn sie nicht zu den Gewerbetreibenden zählen. Insolvenzverwalter werden als Unternehmer angesehen. Sie erzielen als Verwalter Einkünfte aus sonstiger selbstständiger Arbeit i. S. d. § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG, die unter den Voraussetzungen der sog. Vervielfältigungstheorie als Einkünfte aus einem Gewerbebetrieb beurteilt werden. Ihre Umsätze, auch die von angestellten oder als Gesellschafter an einer Kanzlei beteiligten Rechtsanwälte, werden der Kanzlei zugerechnet.
Rn 30
Die zum Zeitpunkt der Eröffnungsantragstellung aktiv tätigen Freiberufler, Handwerker, Landwirte und auch Kleingewerbetreibende, die nicht im Handelsregister eingetragen sind, fallen damit nicht in den Anwendungsbereich des Verbraucherinsolvenzverfahrens, ohne dass es einer weiteren Prüfung des Umfanges ihrer selbstständigen wirtschaftlichen Tätigkeit bedarf. Diese Personengruppe ist vielmehr ohne Weiteres auf das Regelinsolvenzverfahren zu verweisen.
Rn 31
Freischaffende Künstler, Wissenschaftler oder Schriftsteller betreiben zwar kein Gewerbe und regelmäßig auch kein Unternehmen, verkaufen aber ihre Werke selbstständig aus wirtschaftlichen Gründen und unterfallen mithin dem Regelinsolvenzverfahren.
Rn 32
Weiter ist im Sinne der Selbstständigkeit der wirtschaftlichen Tätigkeit zu fordern, dass der Schuldner in eigenem Namen, für eigene Rechnung und in eigener Verantwortung handelt. Der Schuldner muss also das mit der Tätigkeit verbundene wirtschaftliche Risiko tragen und darf keiner fremden Weisung unterworfen sein. Der Schuldner darf nicht nur für den eigenen Bedarf tätig werden, sondern muss am Markt zu Erwerbszwecken Leistungen anbieten, wobei es auf den Abschluss eines konkreten Rechtsgeschäfts nicht ankommt. Bereits der vom Schuldner zurechenbar gesetzte Rechtsschein einer selbstständigen wirtschaftlichen Tätigkeit genügt, ohne dass das Gericht amtswegig ermitteln müsste, ob dieser auch tatsächlich zugetroffen hat. Auch sonst erfolgt die Abgrenzung des § 304 anhand typisierter Kriterien. Die "Tätigkeit" als sog. Strohmann des tatsächlichen Gewerbetreibenden ist mithin eine selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit i. S. v. § 304 Abs. 1.
Rn 33
Bei sogenannten "freien Mitarbeitern" ist eine genaue Überprüfung erforderlich, da es sich oft um "Scheinselbständige" handelt. Der Scheinselbständige wird auf das Regelinsolvenzverfahren zu verweisen sein, solange er selbst zum Zeitpunkt der Eröffnungsantragstellung im Rechtsverkehr den Eindruck erweckt, tatsächlich einer selbstständigen wirtschaftlichen Tätigkeit nachzugehen. Ist zum Zeitpunkt der Eröffnungsantragstellung die sozialrechtliche Scheinselbstständigkeit bereits rechtskräftig festgestellt, muss eine aktuelle wirtschaftlich selbstständige Tätigkeit des Schuldners verneint werden.
Rn 34
Weil die Abgrenzung in § 304 anhand abstrakter Abgrenzungsmerkmale erfolgt, unterfallen auch die sog. arbeitnehmerähnlichen Personen nicht dem Verbraucherinsolvenzverfahren. D...