Rn 155
Der Insolvenzverwalter muss sich entscheiden, ob er das Vermögen, das der Schuldner aus seiner selbstständigen Tätigkeit erzielt, freigeben möchte, um damit auch die Masse vor einer möglichen Inanspruchnahme zu schützen. Eine Freigabe erfolgt durch Erklärung gegenüber dem Schuldner. Die Freigabe erfasst keinen konkreten Gegenstand, wie die echte Freigabe, sondern eine unbestimmte Sachgesamtheit. Bei der Freigabe handelt es sich um eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, mit der der Insolvenzverwalter endgültig und unbedingt auf seine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis hinsichtlich des Vermögens aus der selbstständigen Tätigkeit verzichtet. Bereits der Zugang der Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters wirkt somit konstitutiv; er sollte daher durch einen Zugangsnachweis dokumentiert sein. Der Gesetzeswortlaut von Abs. 2 Satz 1 ist insoweit etwas missverständlich formuliert, weil dort letztendlich nur die Rechtsfolgen genannt sind, die bereits bestehen und lediglich fortwirken, wenn die Freigabe nicht erfolgt. Letztendlich hat der Insolvenzverwalter die Wahl zwischen zwei Handlungsoptionen hinsichtlich der Erklärung gegenüber dem Schuldner, nämlich der Freigabe oder der Mitteilung, dass eine Freigabe nicht erfolgt. Abs. 2 Satz 1 statuiert eine Erklärungspflicht des Insolvenzverwalters für jeden dieser beiden Fälle. Auf den ersten Blick ist nicht nachvollziehbar, warum der Insolvenzverwalter gegenüber dem Schuldner auch dann eine Erklärung abgeben muss, wenn er an der bestehenden gesetzlich normierten Rechtslage festhalten will und keine Freigabe erfolgen soll. Denn schließlich bewirkt dies keine Änderung der bestehenden Rechtslage, so dass auch keine schutzwürdigen Interessen Dritter davon tangiert sein können. Unterlässt der Insolvenzverwalter eine entsprechende Freigabe, fallen die Einkünfte aus der selbstständigen Tätigkeit des Schuldners weiterhin in die Masse, jedoch ist diese dann ggf. auch mit den aus der Tätigkeit resultierenden Verbindlichkeiten als Masseschulden belastet. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sprach insoweit auch nur von der Bekanntmachungspflicht der Freigabeerklärung. Aufgrund der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses wurde jedoch schließlich eine umfassende Erklärungspflicht des Insolvenzverwalters normiert, um dadurch Rechtssicherheit für die am Verfahren Beteiligten herzustellen.
Rn 156
Bestimmte Form- und Fristerfordernisse sieht Abs. 2 Satz 1 nicht vor. Der Insolvenzverwalter kann die Freigabe demnach eigentlich auch mündlich erteilen, wenngleich es sich zur Rechtssicherheit des Insolvenzverwalters anbietet und von den meisten Insolvenzgerichten auch gefordert wird, dass der Insolvenzverwalter dem Schuldner gegenüber die Freigabe schriftlich anzeigt und dabei zugleich auf die Rechtsfolgen der Freigabe hinweist. In zeitlicher Hinsicht ist der Insolvenzverwalter zur Vermeidung etwaiger Haftungsrisiken gehalten, eine Freigabe unverzüglich abzugeben, wenngleich er grundsätzlich bis zur Aufhebung des Insolvenzverfahrens eine Erklärung abgeben kann. Da die Freigabe erst Wirkungen ab dem Zugang der Erklärung entfaltet, muss der Verwalter die Haftung im Auge behalten. Zeitlich wird man aber an den Zeitpunkt anknüpfen müssen, zu dem der Insolvenzverwalter durch den Schuldner überhaupt erst in die Lage versetzt worden ist, eine Interessenabwägung für die Masse vorzunehmen und somit eine Entscheidung zu treffen. Fraglich ist ferner, wie konkret eine entsprechende Freigabeerklärung gefasst sein sollte bzw. gefasst sein muss. Vorgaben enthält das Gesetz nicht, so dass der Insolvenzverwalter auch befugt sein kann, dem Schuldner gegenüber eine General-Freigabe abzugeben, wenn zu befürchten ist, dass der Schuldner – insbesondere wenn dieser ungelernt ist und keinen bestimmten Fachbezug (z. B. als Arzt, Handwerker) vorweisen kann – die Masse durch Aufnahme immer neuer Tätigkeiten gefährdet. Gerade in diesen Fällen wird das Vertrauensverhältnis zwischen Schuldner und Insolvenzverwalter nachhaltig gestört sein, so dass auch im Interesse der Insolvenzgläubiger eine Enthaftung der Masse herbeigeführt werden sollte, weil in diesen Konstellationen ohnehin nicht damit gerechnet werden kann, dass der Schuldner seinen Abführungspflichten nach § 35 Abs. 2 Satz 2 entspricht.
Rn 157
Die Erklärung der Freigabe soll nach der Vorstellung des Gesetzgebers endgültig und unbedingt erfolgen, so dass die mit der Freigabe verbundenen Rechtsfolgen für den Insolvenzverwalter selbst unwiderruflich sind. Daher soll eine Rückholung des Vermögens aus selbstständiger Tätigkeit in die Masse durch Abgabe einer weiteren Erklärung nicht möglich sein. Insoweit wird man auch die Anfechtung des Insolvenzverwalters nicht zulassen dürfen, die insbesondere unter dem Gesichtspunkt einer Täuschung durch den Schuldner nach § 123 BGB in Betracht kommen kann. Stattdessen sollen die Rechtsfolgen der Freigabe nur dadurch rückgängig gemacht w...