Rn 13
Ferner ist das Vorhandensein einer Niederlassung oder alternativ von sonstigen Vermögenspositionen (siehe unten Rn. 19 f.) erforderlich. Die InsO enthält jedoch keine Legaldefinition dieses Begriffs. Umstritten ist, ob der Begriff der Niederlassung nach deutschem Recht ist, d. h. nach § 21 ZPO, oder in Anlehnung an Art. 2 lit. h) EuInsVO auszulegen ist. Nach zutreffender Ansicht ist die Definition nach Art. 2 lit. h) EuInsVO auch auf § 354 Abs. 1 InsO anzuwenden, und zwar aufgrund der vergleichbaren Zielsetzung und Rechtsentwicklung dieser beiden Normen. Das Argument, ein Rückgriff auf die Legaldefinition der EuInsVO sei nicht zulässig, da der Begriff der Niederlassung in der EuInsVO autonom auszulegen sei, ist zu verwerfen. Denn die autonome Auslegung bedeutet nur, dass das nationale Recht nicht zur Auslegung des europarechtlichen Begriffs herangezogen werden kann, verbietet aber nicht die Heranziehung des Gemeinschaftsrechts zur Auslegung einer nationalen Vorschrift.
Rn 14
Zur praktischen Auslegung kann insofern auf den Begriff der Niederlassung nach Art. 2 lit. h) EuInsVO hingewiesen werden, wonach "Niederlassung" jeden Tätigkeitsort bedeutet, an dem der Schuldner einer wirtschaftlichen Aktivität von nicht vorübergehender Art nachgeht, die den Einsatz von Personal und Vermögenswerten voraussetzt.
Rn 15
Tätigkeitsort bezeichnet einen Ort, an dem wirtschaftliche Aktivitäten zum Markt hin entfaltet werden. Damit wird der Unterschied zur bloßen Vermögensbelegenheit beschrieben. Die wirtschaftliche Tätigkeit des Schuldners darf ferner nicht bloß vorübergehender Art sein. Es ist also eine gewisse Dauerhaftigkeit erforderlich.
Rn 16
Beispiele einer Niederlassung sind: Eine Großbaustelle (wenn die Projektleitung dauerhaft Maschinen und Personen einsetzt und ein gewisser Organisationsgrad festzustellen ist), Arztpraxen, Anwaltskanzleien und Lagerstätten .
Rn 17
Die Erforderlichkeit des Einsatzes von Personal und Vermögenswerten hat zur Folge, dass ein Mindestmaß an Organisation vorhanden sein muss. Der Einsatz von Personal und Vermögenswerten muss kumulativ erfolgen.
Rn 18
Eine Tochtergesellschaft kann ferner nicht als Niederlassung ihrer Muttergesellschaft qualifiziert werden. Würde ein Tochterunternehmen des Schuldners als dessen Niederlassung angesehen werden, könnte in dem betreffenden Staat ein Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet werden. Der Vorteil liegt darin, dass auf diese Weise eine Koordinierung von Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren ermöglicht werden würde. Auf der anderen Seite hätte die Qualifikation einer Tochtergesellschaft als Niederlassung eine systemwidrige Vermischung der jeweiligen Haftungsmassen zur Folge. Dies gilt sowohl im Rahmen der EuInsVO als auch der §§ 335 ff. InsO.