Rn 52
Das Insolvenzgericht kann im Insolvenzeröffnungsverfahren anordnen, dass die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners auf einen vorläufigen Insolvenzverwalter übergeht (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Var. 1 i. V. m. § 22 Abs. 1 Satz 1). Der Insolvenzverwalter erhält die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 80 Abs. 1). Durch die identischen Befugnisse ist die Rechtstellung dieses sog. "starken" vorläufigen Insolvenzverwalters der Rechtstellung des Insolvenzverwalters angenähert.
Verfügungen oder das ordnungsgemäße Verwalten des Vermögens sind nur dann praktisch möglich, wenn der starke vorläufige Insolvenzverwalter das Vermögen und damit auch die spätere Insolvenzmasse wirksam verpflichten kann. Daher ordnet Abs. 2 Satz 1 an, dass auch der starke vorläufige Insolvenzverwalter zur Erfüllung seines Amtes Masseverbindlichkeiten begründen kann. Konsequenterweise ordnet Abs. 2 Satz 2 an, dass auch die bloße Entgegennahme einer Gegenleistung zu einer Masseverbindlichkeit führt. Eine Differenzierung würde den Vertragspartner bei einem Dauerschuldverhältnis ohne sachlichen Grund schlechter stellen im Vergleich zu einem Vertragspartner, der mit dem starken vorläufigen Insolvenzverwalter neu kontrahiert.
Rn 53
Vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens gibt es noch keine Insolvenzmasse, so dass eine Verbindlichkeit ihren Charakter als Masseverbindlichkeit erst mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens erhalten kann. Während des vorläufigen Insolvenzverfahrens können also unmittelbar noch keine Masseverbindlichkeiten begründet werden, deshalb arbeitet die Vorschrift mit einer Fiktion; die angesprochenen Verbindlichkeiten "gelten nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeiten". Sprachlich ist diese Regelung ungenau. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind die angesprochenen Verbindlichkeiten Masseverbindlichkeiten, also Verbindlichkeiten der Insolvenzmasse, sonst könnten sie nicht gegen die Insolvenzmasse wirken. Lediglich zum Zeitpunkt ihrer Begründung im Eröffnungsverfahren handelt es sich noch nicht um Masseverbindlichkeiten. In § 270b Abs. 3 Satz 1 hat der Gesetzgeber wohl auch aus diesem Grund einen von Abs. 2 und Abs. 5 abweichenden Wortlaut gewählt. Begrifflich wurde unter Geltung der KO von unechten Masseverbindlichkeiten gesprochen; an diese Einordnung wurden jedoch spezifische Rechtsfolgen geknüpft, was von der InsO nicht übernommen wurde. Insofern ist diese Terminologie überholt.
3.1 Begründung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter
Rn 54
Der Wortlaut des Abs. 2 bezieht sich auf Verbindlichkeiten, die vom vorläufigen Insolvenzverwalter begründet wurden. Der Wortlaut ist zwar nicht identisch mit dem Wortlaut des Abs. 1 ("durch Handlungen des Insolvenzverwalters … begründet werden"), in teleologischer Hinsicht sind jedoch die gleichen Kriterien anzuwenden. Hier wie dort dient die Kompetenz zur Begründung von Masseverbindlichkeiten dazu, Verwaltung und Verfügung des starken vorläufigen Insolvenzverwalters (§ 22 Abs. 1 Satz 1) und des Insolvenzverwalters (§ 80 Abs. 1) über die (spätere) Insolvenzmasse überhaupt erst zu ermöglichen. Daher können auch hier rechtsgeschäftliche wie nicht rechtsgeschäftliche Handlungen und "echtes", also pflichtwidriges, Unterlassen des starken vorläufigen Insolvenzverwalters Masseverbindlichkeiten begründen. Schäden im Rahmen der Verwendung von Leasinggegenständen können Masseverbindlichkeiten sein, wenn die schadensursächlichen Handlungen vom vorläufigen Insolvenzverwalter zu vertreten sind.
Rn 55
Auch wenn der vorläufige Verwalter seine Entscheidung unter erheblichem Zeitdruck und einer regelmäßig unklaren Tatsachengrundlage treffen muss, begründet er gleichwohl eine Masseverbindlichkeit. Allerdings entlasten solche Umstände den Verwalter regelmäßig nach § 61 Satz 2 von einer Haftung.
Rn 56
Abs. 1 hebt Verbindlichkeiten in den Rang von Masseverbindlichkeiten, die auf einer Handlung des Insolvenzverwalters beruhen oder allein als gesetzliche Rechtsfolge durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden. Abs. 2 dagegen spricht nur von Verbindlichkeiten, die vom vorläufigen Insolvenzverwalter begründet wurden und bezieht sich nach dem Wortlaut nicht auch auf Verbindlichkeiten, die kraft Gesetzes als unmittelbare Folge aus der Zugehörigkeit eines Gegenstandes zur Insolvenzmasse oder der Verwaltung als solcher resultieren. Nach der Gesetzesbegründung sollten jedoch ausdrücklich auch gesetzliche Verbindlichkeiten und insbesondere Verbindlichkeiten aus Umsatzsteuer erfasst werden. Die oben dargestellten Grundsätze zu Masseverbindlichkeiten aufgrund der Verwaltung der (späteren) Insolvenzmasse sind also auch im Rahmen der starken vorläufigen Insolvenzverwaltung anwendbar.