Rn 72
Die praktische Anwendung der Vorschrift wirft erhebliche Schwierigkeiten auf. Die Vorschrift erfasst in sachlicher Hinsicht Verbindlichkeiten aus dem Steuerschuldverhältnis, also alle Steuerarten einschließlich der Nebenleistungen nach § 37 Abs. 1 AO. Bisher nicht geklärt ist jedoch die Frage, ob Abs. 4 auch auf die Verfahren der vorläufigen Eigenverwaltung Anwendung findet.
In zeitlicher Hinsicht müssen die Forderungen aus dem Eröffnungsverfahren stammen. Hinsichtlich der oben dargestellten Differenzierung wird es zur praktischen Handhabung ausreichen, dass der zugrundeliegende zivilrechtliche Sachverhalt im Eröffnungsverfahren vollendet wurde, also die steuerbare Leistung im Eröffnungsverfahren vorgenommen wurde.
Rn 73
In "personeller" Hinsicht sind Steuerverbindlichkeiten erfasst, die begründet werden entweder vom vorläufigen Insolvenzverwalter selbst oder vom Insolvenz(eröffnungs-)schuldner mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters (Abs. 4 Var. 1, Var. 2).
Rn 74
Abs. 4 Var. 1 (Begründung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter) hat keinen eigenständigen Regelungsgehalt. Der vorläufige Insolvenzverwalter kann aus eigener Kompetenz nur Steuerverbindlichkeiten begründen, wenn er starker vorläufiger Insolvenzverwalter ist. Steuerverbindlichkeiten aus der starken vorläufigen Insolvenzverwaltung sind jedoch bereits nach Abs. 2 Masseverbindlichkeiten, der insoweit vorgeht. Der schwache vorläufige Insolvenzverwalter begründet selbst keine Steuerverbindlichkeiten.
Rn 75
Es bleibt also die Begründung der Steuerverbindlichkeiten durch den Schuldner mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters (Abs. 4 Var. 2). Hier bestehen erhebliche Unklarheiten hinsichtlich der Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals. Bei engem Verständnis des Wortlautes wird die Masseverbindlichkeit durch Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters zu einer Verfügung des Insolvenzschuldners nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 Var. 2 begründet. Für eine solche enge Auslegung sprechen der eindeutige Wortlaut und der systematische und funktionelle Zusammenhang zu § 21 Abs. 2 Nr. 2 Var. 2.
Rn 76
Die Zustimmung des vorläufigen Verwalters nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 Var. 2 bezieht sich allerdings allein auf Verfügungen des Schuldners. Nicht jede steuerbare Leistung setzt jedoch eine zustimmungspflichtige Verfügung voraus (z. B. reine Lohnfertigung). Es wäre also bei jedem steuerbaren Umsatz zu prüfen, ob der steuerbaren Leistung erstens eine Verfügung zugrunde liegt und zweitens dieser Verfügung zugestimmt wurde.
Rn 77
Nach dem klaren gesetzgeberischen Willen sollten Steuerverbindlichkeiten aus dem Eröffnungsverfahren umfassend zu Masseverbindlichkeiten aufgewertet werden. Dieser gesetzgeberische Zweck kann nicht erreicht werden, wenn die Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters nach Abs. 4 eng als Zustimmung im Sinne von § 21 Abs. 2 Nr. 2 Var. 2 ausgelegt wird. Der Gesetzeszweck spricht insoweit dafür, den Begriff der Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters weit auszulegen und jedes tatsächliche Einverständnis zur Grundlage zu nehmen.
Rn 78
Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass der schwache vorläufige Insolvenzverwalter nicht die Aufgabe hat, eine Zustimmung unterhalb der Schwelle des § 21 Abs. 2 Nr. 2 Var. 2 zu erteilen; eine solche Zustimmung entspricht nicht seiner Sicherungsfunktion. Ein rein tatsächliches Einverständnis hat daher keine rechtlichen Konsequenzen, so dass auch die Verweigerung eines Einverständnisses folgenlos bleibt. Wenn es keine rechtliche Konsequenz hat, dass der vorläufige Insolvenzverwalter seine Zustimmung verweigert, kann er sich gegenüber der Finanzverwaltung auch ohne Weiteres auf eine solche Verweigerung berufen. Gegenüber dem Schuldner kann er die Verweigerung seiner Zustimmung mit der Rechtsfolge des Abs. 4 begründen und kann die Verweigerung der tatsächlichen Zustimmung daher sogar dokumentieren – alles ohne Einfluss auf die Betriebsfortführung. Eine rein tatsächliche Zustimmung ist daher kein prüfbares Tatbestandsmerkmal und damit ungeeignet für eine Differenzierung.
Rn 79
Dadurch kommt es nach hier vertretener Auffassung auch bei weiter Auslegung des Begriffes "Zustimmung" in Abs. 4 zu dem Ergebnis, dass nur solche Handlungen des Schuldners zu einer Masseverbindlichkeit aus dem Steuerschuldverhältnis führen, die mit einer Verfügung des Schuldners und einer Zustimmung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters einhergehen.
Rn 80
Diese schwierig zu handhabende Situation kann nur dadurch praktisch gelöst werden, dass ganz auf das Merkmal der Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters verzichtet wird und analog zu Abs. 2 jedes Handeln des Schuldners Steuerverbindlichkeiten als Masseverbindlichkeiten begründet. Eine solche Lösung findet ihre klare Grenze jedoch am Wortlaut der Norm, der eindeutig an die Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters anknüpft.
Rn 81
Als Rechtsfolge von Abs. 4 sind die Steuerverbindlichkeiten unmittelba...