Prof. Dr. Eberhard von Olshausen
Rn 21
Der gezogene Wechsel (Art. 1 WG) ist eine Sonderform der bürgerlich-rechtlichen Anweisung. Er weist gegenüber dieser bei Übereinstimmung in der Grundstruktur aber einige Besonderheiten auf, insbesondere die grundsätzlich Haftung auch des Ausstellers (Art. 9 WG) und des Indossanten (Art. 15 WG) sowie die Möglichkeit eines gutgläubigen Erwerbs (Art. 16, 17 WG). Demgemäß stimmen die Antworten auf Einzelfragen bei BGB-Anweisung einerseits und Wechsel andererseits oft, aber nicht in allen Punkten überein.
Ausgegangen sei von folgendem Grundfall (Insolvenz des Ausstellers): A, der nachmalige Insolvenzschuldner, weist in einem von ihm ausgestellten Wechsel den Bezogenen B an, eine bestimmte Geldsumme an R zu zahlen, und begibt diesen Wechsel an R. Der Wechselausstellung und -begebung liegen eine Kaufpreisforderung des A gegen B in entsprechender Höhe sowie eine Kaufpreisforderung des R gegen A in gleicher (oder größerer) Höhe zugrunde. B zahlt nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens an R,
a) |
ohne den Wechsel akzeptiert zu haben, |
b) |
nachdem er den Wechsel vor Verfahrenseröffnung akzeptiert hatte (Art. 25, 28 WG), |
c) |
nachdem er den Wechsel nach Verfahrenseröffnung akzeptiert hatte. |
Im Fall a wird B von seiner Kaufpreisverbindlichkeit gegenüber A nur unter den Voraussetzungen des § 82, also nur dann befreit, wenn er bei der Zahlung keine Kenntnis von der Verfahrenseröffnung hatte. Im Fall b wird B nicht nur von seiner wechselrechtlichen Verbindlichkeit, sondern – wegen der beiderseits gewollten Verbindung zwischen beiden Forderungen – auch von seiner zugrunde liegenden Kaufpreisverbindlichkeit unabhängig davon befreit, ob er bei der Zahlung die Verfahrenseröffnung kannte oder nicht kannte. Im Fall c schließlich wird B von seiner wechselrechtlichen und der zugrunde liegenden kaufrechtlichen Verbindlichkeit analog § 82 dann befreit, wenn er bei der Erteilung des Akzepts die Verfahrenseröffnung nicht kannte. Etwaige Kenntniserlangung in der Zeit zwischen Akzepterteilung und Zahlung steht der Befreiung dann nicht entgegen. Diese Ergebnisse decken sich vollständig mit den für die BGB-Anweisung gefundenen Resultaten, und auch die dort gegebenen Begründungen gelten ebenso für den Wechsel.
Rn 22
Eine unterschiedliche Behandlung im Vergleich zur BGB-Anweisung ist im Wechselrecht für einen bestimmten Fall der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung geboten. Wird der Angewiesene bei einer Leistung an einen vom späteren Insolvenzschuldner bestimmten Dritten (z.B. Anweisungsempfänger oder Wechselnehmer) gegenüber der Insolvenzmasse nach § 82 befreit, so kann der Verwalter analog § 816 Abs. 2 BGB vom Empfänger Herausgabe des Geleisteten verlangen. Entsprechendes müsste dann an sich auch bei der Zahlung an denjenigen gelten, dem der Anweisungsempfänger die (nicht akzeptierte) Anweisung übertragen (§ 792 Abs. 1 BGB) oder der Wechselnehmer den (nicht akzeptierten) Wechsel indossiert (Art. 11 Abs. 1 WG) hat. Bei dem Erwerber einer übertragenen Anweisung ist eine solche Herausgabepflicht unbedenklich. Gegenüber dem Indossatar eines Wechsels ist aber folgende wechselrechtliche Besonderheit zu berücksichtigen: Eine bereicherungsrechtliche Haftung gegenüber der Masse würde den Indossatar schlechter stellen, als er bei verweigerter Zahlung des Bezogenen stünde: Bei Verweigerung der Zahlung hätte er Protest mangels Zahlung (Art. 43 Abs. 1, 44 Abs. 1, 3 WG) erheben und sich dadurch die wechselrechtlichen Rückgriffsansprüche gegen die übrigen Wechselverpflichteten (Aussteller, Indossanten etc.) sichern können. Eine solche Möglichkeit ist ihm dagegen nicht gegeben, wenn er zunächst Zahlung seitens des Bezogenen erlangt hätte, den erlangten Betrag später aber nach § 816 Abs. 2 BGB an den Insolvenzverwalter herausgeben müsste. Er hätte also durch die Annahme der Zahlung wechselrechtliche Rückgriffsansprüche verloren, die ihm bei Nichtzahlung zugestanden hätten. Einen ähnlichen Interessenkonflikt regelt § 137 für den Fall der Insolvenzanfechtung von Wechsel- und Scheckzahlungen des Insolvenzschuldners, bei deren Nichtannahme der Zahlungsempfänger wechsel- oder scheckrechtliche Rückgriffsansprüche verloren hätte, im Sinne des Zahlungsempfängers: Eine Anfechtung ihm gegenüber nach § 130 ist ausgeschlossen; dafür haftet der letzte Rückgriffsschuldner auf Erstattung der gezahlten Summe. Diese Vorschrift ist hier entsprechend anzuwenden; der Anspruch aus § 816 Abs. 2 BGB richtet sich also nicht gegen den Indossatar als Zahlungsempfänger, sondern gegen den letzten Rückgriffsschuldner.
Rn 23
§ 82, der im Rahmen von Anweisungen am ausgiebigsten für den Fall der Insolvenz des Anweisenden erörtert wird, gilt auch in der Insolvenz des Anweisungsbegünstigten oder seines Rechtsnachfolgers, z.B. des Wechselnehmers oder eines Indossatars als jetzigen Wechselinhabers.
Rn 24
Eine speziell wechselrechtliche Vorschrift über die Befreiung eines "gutgläubig" Zahlenden von seiner Verbindlichkeit enthält auch Ar...