Dr. Jürgen Blersch, Prof. Dr. Eberhard von Olshausen
Rn 3
Anders als § 92 nennt § 93 nicht nur "Ansprüche der Insolvenzgläubiger", sondern – weiterreichend – die Haftung für "Verbindlichkeiten der Gesellschaft" als Regelungsgegenstand, erfasst also nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit (§ 208) auch die Haftung für Masseverbindlichkeiten i.S. der §§ 53 ff. Aber dies betrifft nur die Frage danach, wer zur Geltendmachung einer solchen Haftung befugt ist: der Insolvenzverwalter. Ein anderes, nicht von § 93 behandeltes Thema ist die Frage, ob sich die Haftung eines Gesellschafters überhaupt auf Masseverbindlichkeiten seiner Gesellschaft erstreckt und ggf. auf welche. Dies ist deshalb problematisch, weil etwa die Haftungsnorm des § 128 HGB von dem Leitbild eines Gesellschafters ausgeht, der Einfluss auf das vermögensmäßige Schicksal seiner Gesellschaft und auf die Entstehung von Gesellschaftsverbindlichkeiten hat und dem die Erträge seines Wirtschaftens zufließen. Dieses Leitbild trifft ab dem Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung und auf die nach diesem Zeitpunkt entstehenden Gesellschaftsverbindlichkeiten nicht mehr oder doch nur begrenzt zu (Stichwort: Fremdverwaltung im Fremdinteresse = Gläubigerinteresse, Einflusslosigkeit der Gesellschafter). Es wird deshalb verbreitet eine "teleologische Reduktion" des § 128 HGB auf "anfängliche" Masseverbindlichkeiten befürwortet, d.h. auf solche Masseverbindlichkeiten, deren Rechtsgrund vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens gelegt worden ist. Die Einzelheiten der Abgrenzung sind freilich streitig, was nicht besonders erstaunen kann, da schließlich alle Masseverbindlichkeiten irgendeinen Bezug zum vorinsolvenzlichen Wirtschaften der Gesellschaft und damit der Gesellschafter haben (ohne deren – schlechtes – Wirtschaften kein Insolvenzverfahren und daher auch keine Masseverbindlichkeiten).
Weitgehend unstreitig – und dies zu Recht – ist zwischen den Anhängern einer differenzierenden Beantwortung der Haftungsfrage einerseits die Bejahung einer Gesellschafterhaftung für die in die Zeit vor der Verfahrenseröffnung und vor der Bestellung eines starken vorläufigen Verwalters zurückreichenden Verbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Satz 2 und andererseits die Verneinung einer Haftung für die (verfahrensunmittelbaren) Verbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nrn. 1 und 3, Abs. 2 Satz 1. Die Haftung für Masseverbindlichkeiten aus fortbestehenden Dauerschuldverhältnissen (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 i.V.m. § 108 Abs. 1) ist analog § 160 HGB zeitlich zu begrenzen. Bei den Sozialplanverbindlichkeiten nach § 123 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 dominiert die Verwurzelung der Verbindlichkeiten in den vorinsolvenzlichen Arbeitsverhältnissen gegenüber der Beteiligung des Insolvenzverwalters an der Aufstellung des Sozialplans, so dass die Haftung der Gesellschafter für diese Verbindlichkeiten zu bejahen ist. Hinsichtlich der Verfahrenskosten (§ 54) ist dagegen eine Haftung der Gesellschafter zu verneinen, weil ihr Rechtsgrund erst nach Verfahrenseröffnung gelegt wird und die Verantwortlichkeit der Gesellschafter für die Insolvenzreife kein hinreichender Haftungsgrund ist.
Von der Frage, ob die Gesellschafter für die Verfahrenskosten der Gesellschaftsinsolvenz haften, ist die andere Frage zu unterscheiden, ob die auf materiellrechtliche Forderungen der Gesellschaftsgläubiger von den haftenden Gesellschaftern eingezogenen Zahlungen für die Bestreitung von Kosten des Insolvenzverfahrens verwendet werden dürfen. Dies erscheint nur insoweit gerechtfertigt, als (Mehr-)Kosten gerade durch das Inkassoverfahren des § 93 entstanden sind. Mit dem Ansinnen, einen Beitrag zur Überwindung der Massearmut, also zur Verringerung der Fälle einer Abweisung des Insolvenzantrags oder einer Einstellung des Verfahrens mangels Masse, zu leisten, weist die Begründung zum Regierungsentwurf der InsO dem § 93 eine zweckfremde Aufgabe zu. Denn Zweck des § 93 ist es, einen Gläubigerwettlauf in einem eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft zu verhindern, nicht aber, die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zu ermöglichen oder dessen Einstellung mangels Masse zu verhindern. Dies zeigt sich auch daran, dass die Einziehungsbefugnis des Verwalters jedenfalls dann entfällt, wenn sich der Gesellschaftsgläubiger nicht am Insolvenzverfahren beteiligt (s.u. bei Rn. 5).
Soweit eine Haftung der Gesellschafter für Masseverbindlichkeiten der Gesellschaft zu bejahen ist, bedeutet das aber nicht, dass die betreffende Verbindlichkeit auch in einem etwaigen Insolvenzverfahren über das Vermögen eines haftenden Gesellschafters als Masseverbindlichkeit zu behandeln wäre. Vielmehr sind die Verbindlichkeiten für jedes Insolvenzverfahren eigenständig nach dessen Besonderheiten zu qualifizieren. Das bedeutet für die Masseverbindlichkeiten der Gesellschaft, für die vorstehend eine Haftung der Gesellschafter überhaupt bejaht worden ist, eine Qualifizierung als bloße Insolvenzforderungen in der Gesellschafterinsolvenz. Denn entweder soll die "Beförder...