Dr. Jürgen Blersch, Prof. Dr. Eberhard von Olshausen
Rn 7
Hat der Insolvenzverwalter der Gesellschaft durch Geltendmachung der Haftungsansprüche gegen die Gesellschafter einen höheren Betrag eingesammelt als den, der unter Berücksichtigung des vorhandenen Gesellschaftsvermögens zur vollständigen Befriedigung aller Insolvenzgläubiger erforderlich ist, so muss er den Überschuss nach der Schlussverteilung analog § 199 Satz 2 InsO i.V.m. § 110 HGB oder mit § 733 Abs. 1 Satz 1 BGB an den oder die zahlenden Gesellschafter zurückerstatten. Der Inanspruchnahme eines Gesellschafters, die zu einem solchen Überschuss führen würde, steht der Einwand missbräuchlicher Rechtsausübung (dolo agit qui petit quod statim redditurus est, § 242 BGB) entgegen. Die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen diese Einwands trägt der Gesellschafter als derjenige, für den die Beschränkung eines bestehenden Rechts günstig wäre.
So einfach und einleuchtend dies in der Theorie ist, so erhebliche Schwierigkeiten können sich in der Praxis ergeben. Für den Gesellschafter wird es nach der Insolvenzeröffnung und der Inbesitznahme der Masse und der Geschäftsbücher durch den Verwalter oft unmöglich oder unzumutbar sein, die Vermögensverhältnisse der Gesellschaft im Einzelnen darzulegen. In solchen Fällen hilft die Rechtsprechung dem Gesellschafter mit einer sekundären Behauptungslast des Insolvenzverwalters. Aber auch für den Verwalter handelt es sich um eine heikle Sache. Denn zum einen dürfte er verpflichtet sein, die persönliche Haftung der Gesellschafter nach Verfahrensbeginn umgehend zu realisieren, um einer Einschränkung der Leistungsfähigkeit der Gesellschafter durch andere, nämlich durch private oder mittels Gesellschafterbürgschaft gesicherte Gläubiger zuvorzukommen, deren Ansprüche nicht von § 93 erfasst werden. Andererseits steht in einem frühen Verfahrensstadium meist noch gar nicht endgültig fest, wie hoch die endgültige Schuldenmasse sein wird und welchen Wert das Gesellschaftsvermögen letztendlich repräsentiert (gleichgültig ob es im Rahmen einer Liquidation endgültig verwertet oder zur Umsetzung eines Insolvenzplans genutzt wird). Es muss also zugelassen werden, dass der Verwalter zunächst auf der Basis einer ausreichend substantiierten Insolvenzeröffnungsbilanz den mutmaßlichen späteren Ausfall der Gesellschaftsgläubiger berechnet und ggf. im weiteren Verfahrensverlauf fortschreibt. Insbesondere kann erst nach dem Berichtstermin gemäß § 156 abschließend der weitere Verlauf des Insolvenzverfahrens (Abwicklung, Übertragung oder Insolvenzplan) hinreichend sicher beurteilt werden. Des Weiteren ist im Falle eines Insolvenzplans erst nach dessen rechtskräftiger Bestätigung überhaupt eine einigermaßen verlässliche Ausfallberechnung möglich, da zuvor nicht feststeht, in welchem Umfang beispielsweise bestimmte Gläubigergruppen auf ihre Ansprüche verzichten. Bis dahin wird man also die substantiierte Darlegung einer vorläufigen Ausfallberechnung durch den Insolvenzverwalter in einem Rechtsstreit gegen den persönlich haftenden Gesellschafter nach § 93 i.V.m. den allgemeinen Haftungsvorschriften als ausreichend ansehen müssen. Werden die Darlegungslasten des Verwalters in diesem Bereich überspannt, bleiben die vom Gesetzgeber angestrebten Ziele der Gläubigergleichbehandlung und zusätzlicher Masseanreicherung weitgehend unerreicht, da ein endgültiger Ausfall der Gläubiger in der Gesellschaftsinsolvenz erst am Ende des Verfahrens, d.h. meist erst nach mehreren Jahren, berechnet werden kann. Bis dahin dürften sich andere, nicht durch § 93 an der Geltendmachung gehinderte Gläubiger des Gesellschafters wegen ihrer Ansprüche aus dessen Privatvermögen befriedigt haben und dürfte eine darüber hinausgehende Leistungsfähigkeit des Gesellschafters gegenüber den Gesellschaftsgläubigern meist nicht mehr gegeben sein.
Welche(n) von mehreren haftenden Gesellschaftern der Verwalter in Anspruch nimmt, bleibt seinem pflichtgemäß auszuübenden Ermessen überlassen. Er ist nicht etwa gehalten, alle Gesellschafter nur anteilig in Anspruch zu nehmen.
Rn 8
Ein Gesellschafter kann sich auch bei einer Inanspruchnahme über § 93 darauf berufen, dass es als Grundlage für seine Haftung an einer bestehenden Verbindlichkeit der Gesellschaft, also an der erforderlichen Hauptforderung, fehlt. Dieser Einwand ist ihm nach oder entsprechend § 129 Abs. 1 HGB abgeschnitten, wenn bereits ein rechtskräftiges Urteil gegen die Gesellschaft vorliegt oder wenn die betreffende Insolenzforderung in der Gesellschaftsinsolvenz ohne den Widerspruch des Gesellschafters zur Insolvenztabelle festgestellt worden ist (§ 178 Abs. 3). Ein eigenes Recht zur Teilnahme an dem Prüfungsverfahren und zur Erhebung eines Widerspruchs muss einem Gesellschafter – unabhängig davon, ob er auch Vertreter der schuldnerischen Gesellschaft ist – nach Art. 103 Abs. 1 GG wegen seiner persönlichen Haftung und der Auswirkungen des § 129 Abs. 1 HGB auf diese zugebilligt werden.
Verschiedentlich wird die erstaunliche Ansicht vertreten, ein G...