Dr. Jürgen Blersch, Prof. Dr. Eberhard von Olshausen
Rn 3
Aus § 95 Abs. 1 ist zunächst der allgemeine Grundsatz zu entnehmen, dass bei Verfahrenseröffnung schon begründete Forderungen eines Insolvenzgläubigers auch noch aufgerechnet werden können, wenn ihre Durchsetzbarkeit oder die Gleichartigkeit erst während des Verfahrens eintritt und nicht die massezugehörige Hauptforderung bereits zuvor durchsetzbar war oder wurde (vgl. § 95 Abs. 1 Satz 3). Mit dieser Anlehnung an den schon in § 392 BGB niedergelegten Grundsatz dürften Aufrechnungslagen zugunsten eines Insolvenzgläubigers nach Eröffnung des Verfahrens nur in wenigen Ausnahmefällen entstehen. Immer wenn der Insolvenzgläubiger damit rechnen musste, dass wegen bereits gegebener Durchsetzbarkeit die massezugehörige Forderung vor Eintritt der Aufrechnungsvoraussetzungen gegen ihn beigetrieben wird, ist sein Vertrauen auf das zukünftige Entstehen der Aufrechnungslage im Falle eines Insolvenzverfahrens nicht schutzwürdig. Dies wird dadurch erreicht, dass nach § 95 Abs. 1 Satz 2 die Erleichterungsvorschriften der §§ 41, 45 im Bereich der Aufrechnung nicht angewandt werden dürfen.
2.1 Eintritt der Bedingung einer Forderung nach Verfahrenseröffnung
Rn 4
Eine dem Insolvenzgläubiger bei Verfahrenseröffnung zustehende, aufschiebend bedingte Forderung kann ausnahmsweise auch noch aufgerechnet werden, wenn die Bedingung später eintritt. Eine auflösende Bedingung fällt nicht unter § 95 Abs. 1, da die Forderung nach § 42 wie eine unbedingte Forderung anzusehen ist und deshalb meist nach § 94 aufgerechnet werden kann. Bei der aufschiebenden Bedingung kann es sich zunächst um eine solche handeln, die rechtsgeschäftlich wirksam i.S.d. § 158 BGB vereinbart wurde. In Betracht kommen aber auch Forderungen, deren Rechtsgrund bereits gelegt wurde, für deren endgültige Entstehung oder Durchsetzbarkeit jedoch noch zusätzliche gesetzliche Voraussetzungen erforderlich sind, die noch nicht vorliegen. Notwendig ist dabei jedoch, dass das betreffende Rechtsverhältnis bereits vor endgültiger Anspruchsentstehung Vorwirkungen zeitigt, die vor die Verfahrenseröffnung zurückreichen. So entstehen Steueransprüche und steuerrechtliche Vergütungs- oder Erstattungsansprüche nicht erst mit der Festsetzung durch das Finanzamt, sondern als bedingte i.S. des § 95 Abs. 1 Satz 1 bereits mit Verwirklichung des zivilrechtlichen Sachverhalts, an den der Steueranspruch oder der Erstattungsanspruch anknüpft. Deshalb kann das Finanzamt mit fälligen Steuerforderungen gegen Erstattungsansprüche des Insolvenzschuldners aufrechnen, die zwar erst nach der Verfahrenseröffnung festgesetzt wurden, aber auf vor der Verfahrenseröffnung geleisteten Vorauszahlungen beruhen. § 96 Abs. 1 Nr. 1 steht nicht entgegen. Denn § 95 Abs. 1 Satz 1 hat Vorrang vor § 96 Abs. 1 Nr. 1. Als rechtsbedingter Anspruch soll ferner der Anspruch eines erst nach Insolvenzeröffnung ausscheidenden Gesellschafters auf Zahlung des Auseinandersetzungsguthabens "bereits mit Abschluss des Gesellschaftsvertrages zu den von § 95 Abs. 1 Satz 1 geschützten Ansprüchen" gehören, "soweit er von Rechts wegen ohne weiteres Zutun der Parteien entsteht." Ein Anspruch auf Rückerstattung von zu hohen Nebenkostenvorauszahlungen ist aufschiebend bedingt durch den Ablauf des Abrechnungszeitraums und eine tatsächlich eingetretene Überzahlung, und er wird fällig mit Erteilung der Nebenkostenabrechnung. Keinen bedingten Anspruch begründet die bloße Möglichkeit eines Gewährleistungsanspruchs wegen noch nicht erkannter Mängel einer Werkleistung, da es sich hierbei nur um eine tatsächliche Ungewissheit über das jetzige Bestehen eines Anspruchs, nicht um ein ungewisses rechtliches Element eines Anspruchs handelt.
Für die Aufrechnung durch Mieter bzw. Pächter des Insolvenzschuldners oder durch dessen Arbeitgeber bzw. Dienstherren gelten die Sondervorschriften des § 110 Abs. 3, § 114 Abs. 2.
Rn 5
Dass die InsO ungerechtfertigte Aufrechnungsprivilegien, die die KO noch gewährte, reduziert hat, zeigt sich besonders deutlich am Rückgriffsanspruch eines Bürgen oder einer sonstigen Person, die für eine Verbindlichkeit des späteren Insolvenzschuldners eine Sicherheit bestellt und nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens den Gläubiger befriedigt hat. Hier konnte der Bürge oder sonstige Sicherungsgeber unter der Geltung der KO nach Befriedigung des Gläubigers mit seinem Regressanspruch auch dann gegen eine ihn gegenüber dem Insolvenzschuldner treffende Geldverbindlichkeit aufrechnen, wenn diese Verbindlichkeit schon bei Verfahrenseröffnung fällig war oder jedenfalls vor der Zahlung fällig wurde. Denn der Regressanspruch wurde als bereits mit Übernahme der Bürgschaft oder Bestellung der sonstigen Sicherheit entstanden angesehen, gesetzlich bedingt durch die Zahlung des Bürgen oder die Einlösung der sonstigen Sicherheit. Der Bürge etc. konnte deshalb zunächst gemäß § 54 Abs. 3 KO Sicherstellung verlangen und nach der Befriedigung des Gläubigers gemäß § 54 Abs. 1 KO aufrechnen. Er profitierte also ...