Rn 7

Art. 3 EUInsVO ist im Hinblick auf die Eröffnung von Hauptinsolvenzverfahren zunehmend in den Fokus der insolvenzrechtlichen Literatur geraten.[7] Vor allem ein so genanntes forum shopping bei Konzerninsolvenzen sowie ein "Wettlauf" um die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens werden diskutiert.[8]

 

Rn 8

Für die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens ist nach der EuInsVO das Gericht des Staates zuständig, in dem der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen (= "centre of main interests" = COMI) hat.

 

Rn 9

Der Begriff "Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen" beschreibt den Ort, an dem der Schuldner üblicherweise – und damit für Dritte erkennbar – der Verwaltung seiner Interessen nachgeht, Erwägungsgrund 13 EuInsVO. Das Wort "Interesse" erfasst nicht nur handelsgewerbliche oder berufliche Tätigkeiten. Auch Privatpersonen fallen in den Anwendungsbereich.[9]

[7] Statt aller: Bähr/Riedemann, Anmerkung zu AG Mönchengladbach, Beschluss v. 27.4.2004, 19 IN 54/04, ZIP 2004, 1064; Herchen, ZInsO 2004, 61; Ehricke, EWS 2002, 101; Weller, IPRax 2004, 412; Willcock, INSOL-WORLD, 3. Quarter 2003, 8; Mankowski, EWiR 2003, 767 [AG Düsseldorf 06.06.2003 - 502 IN 126/03].
[8] Z.B. Mankowski, EWiR 2003, 767 ff. [AG Düsseldorf 06.06.2003 - 502 IN 126/03]; Weller, IPRax 2004, 412 ff.
[9] Virgós/Schmit, Erläuternder Bericht, 32 (60); FK-Wimmer, Anhang 1 Rn. 76.

2.1 Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen (COMI)

2.1.1 Natürliche Personen, soweit keine Kaufleute, Einzelunternehmen und Freiberufler

 

Rn 10

Bei natürlichen Personen, die gemäß der lex fori concursus insolvenzfähig sind,[10] sind die Gerichte am Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen international zuständig. Bei nicht unternehmerisch tätigen Personen wird der Interessenschwerpunkt in der Regel anhand des Wohnsitzes[11] oder des gewöhnlichen Aufenthaltes[12] ermittelt. Nach dem Erläuternden Bericht von Virgós/Schmit ist auf den "gewöhnlichen Wohnsitz" abzustellen,[13] was nicht besonders aufschlussreich ist. Problematisch mit dem Wohnsitz ist, dass dieser Begriff in den Mitgliedstaaten unterschiedlich verstanden wird;[14] eine Bestimmung des COMI anhand des Wohnsitzes würde die Gefahr von Kompetenzkonflikten mit sich bringen, was den Zielen der EuInsVO widerspräche. Andere Regelungswerke stellen eher auf den Ort des gewöhnlichen Aufenthalts ab, wie z.B. das EVÜ[15] oder die EuGVVO[16]. Der gewöhnliche Aufenthalt lässt sich schließlich einfacher ermitteln: Eine natürliche Person kann mehrere Wohnsitze haben, während ein "doppelter gewöhnlicher Aufenthalt" kaum vorstellbar ist.[17] Aus diesen Gründen sollte sich die Bestimmung des COMI natürlicher Personen nach dem Ort des gewöhnlichen Aufenthalts richten.

[10] Siehe hierzu den Überblick über Zuständigkeit und Insolvenzfähigkeit im Anwendungsbereich der EuInsVO, in Pannen/Pannen, EuInsVO, Art. 3 Rn. 14.
[11] Vgl. AG Celle ZInsO 2005, 895 = NZI 2005, 410; siehe auch Pannen/Pannen, EuInsVO, Rechtsprechungsübersicht Art. 3 Anhang B Nr. 73; LG Wuppertal ZInsO 2002, 1099, siehe auch Pannen/Pannen, EuInsVO, Rechtsprechungsübersicht Art. 3 Anhang B Nr. 5; Moss/Fletcher/Isaacs, The EC Regulation on Insolvency Proceedings, Rn. 8.41; Balz, ZIP 1996, 948 (949); Wimmer, ZInsO 2001, 97, (99); Smid, Komm-EuInsVO Art. 3 Rn. 15.
[12] Vgl. Court of Assen, Urteil v. 5.6.2002; siehe auch Pannen/Pannen, EuInsVO, Rechtsprechungsübersicht Art. 3 Anhang B Nr. 2; Carstens, Die internationale Zuständigkeit im europäischen Insolvenzrecht (2005), 59; Mankowski, NZI 2005, 368, 369 f. [AG Celle 18.04.2005 - 29 IN 11/05]; Wessels, Current Topics of International Insolvency Law, S. 164; Taupitz, ZZP 111 (1998) 315 (326 f.); Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 (543); Huber, ZZP 114 (2001) 133 (140); Paulus, NZI 2001, 505 (509); DK/D/Ch-Duursma-Kepplinger, Art. 3 Rn. 20-22; HambKomm-Undritz, Art. 3 Rn. 8; Paulus, Komm-EuInsVO, Art. 3 Rn. 24.
[13] Virgós/Schmit, Erläuternder Bericht, 32 (60).
[14] Die deutsche InsO knüpft an den Wohnsitz an (§ 3 InsO i.V.m. § 13 ZPO), während z.B. im österreichischen Insolvenzrecht auf den gewöhnlichen Aufenthaltsort abgestellt wird (§ 63 österr. KO), vgl. Knof, ZInsO 2005, 1017 (1022); AG Celle ZInsO 2005, 895 = NZI 2005, 410. Vgl. zu diesem Problem auch: Carstens, Die internationale Zuständigkeit im europäischen Insolvenzrecht (2005), S. 55.
[15] Übereinkommen von Rom über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 19. Juni 1980, auch Europäisches Schuldvertragsübereinkommen (EVÜ) genannt.
[16] Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 des Rates über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen vom 29.5.2000, ABL EG 2000 L 160, S. 19; siehe z.B. Art. 2 Abs. 1 lit. a.
[17] Carstens, Die internationale Zuständigkeit im europäischen Insolvenzrecht (2005), S. 59; Pannen/Pannen, EuInsVO, Art. 3 Rn. 24.

2.1.2 Kaufleute, Einzelunternehmen und Freiberufler

 

Rn 11

Bei Kaufleuten, Einzelunternehmen und Freiberuflern richtet sich der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen in Anlehnung an Art. 4 EVÜ bzw. Art. 28 EGBGB nach dem Ort der gewerblichen Niederlassung der Kanzlei bzw. der beruflichen Tätigkeit.[18] Ein Rückgriff auf den Wohnsitz oder den Ort d...

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