2.1.3.1 Head-office functions/mind of management
Rn 12
Der Begriff des "Mittelpunktes der hauptsächlichen Interessen" bzw. des "centre of main interests" wurde in den Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich ausgelegt. Insbesondere in England existiert eine weite Auslegungsart des COMI (vor allem im Zusammenhang mit Gruppeninsolvenzen: siehe hierzu u.a. die Fälle Automold, Crisscross Telecommunications Group, MG Rover, Enron Directo SA, Hettlage). Entscheidend soll danach sein, wo die "head office functions" ausgeführt werden bzw. wo der "mind of management" belegen sei.
Rn 13
Maßgebliche Kriterien für die Lokalisierung des COMI sind beispielsweise der Ort der Verwaltungsentscheidungen bzw. der strategischen Lenkungsentscheidungen, der Ort der Vorstandssitzungen, der Zahlungsverkehr. Auch berücksichtigt werden z.B. die Existenz eines Zustimmungsvorbehalts, der Ort der finanziellen Planung und Kontrolle der Schuldnerin, der Ort der Marketingentscheidungen, das Vorliegen einer internationalen Konzernstruktur usw. Es handeln sich also mehrheitlich um konzerninterne Umstände, die für Dritte nicht unmittelbar in Erfahrung gebracht werden können.
2.1.3.2 Objektive Kriterien, Entscheidung des EuGH in Sachen Eurofood/Parmalat
Rn 14
Einer anderen Ansicht zufolge sind für die Bestimmung des COMI objektive Kriterien heranzuziehen, d.h. Kriterien, die aus Gläubigersicht maßgeblich sind (business-activity theory). Hiernach liegt der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen am Ort der werbenden Geschäftstätigkeit. Dies steht im Einklang mit Erwägungsgrund 13 EuInsVO, welcher besagt, dass der COMI an dem Ort liegt, an dem der Schuldner gewöhnlich der Verwaltung seiner Interessen nachgeht und damit für Dritte feststellbar ist.
Rn 15
Relevante Kriterien nach diesem Ansatz sind z.B. Kundenbeziehungen, Geschäftszweck, Einsatz von Mitarbeitern, Buchhaltung sowie Bankverbindungen. Somit können Dritte – d.h. vor allem die Gläubiger – die rechtlichen und wirtschaftlichen Risiken besser einschätzen können.
Rn 16
Die business-activity theory wurde vom EuGH in seiner Entscheidung Eurofood/Parmalat am 2.5.2006 bestätigt, während dem mind of management Ansatz eine klare Absage erteilt wurde. Nach dem EuGH kann die Vermutung zugunsten des satzungsmäßigen Sitzes nur durch objektive und für Dritte feststellbare Elemente widerlegt werden. Problematisch in dieser Entscheidung ist allerdings, dass konkrete Kriterien zur Bestimmung des COMI nicht genannt werden, so dass weitere Vorlagen an den EuGH zu erwarten sind.
2.1.3.3 Gesetzliche Vermutung zugunsten des satzungsmäßigen Sitzes
Rn 17
Bei Gesellschaften und juristischen Personen greift die gesetzliche Fiktion des Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO, wonach der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen an dem Ort des satzungsmäßigen Sitzes widerlegbar vermutet wird. Gegen diese Vermutung kann der Beweis des Gegenteils erbracht werden. Dies ist beispielsweise in den viel diskutierten Entscheidungen "Enron Directo","ISA/Daisytek" und "Hettlage" erfolgt.
Rn 18
Gemäß der Rechtsprechung des EuGH in Sachen Eurofood/Parmalat kann die Vermutung des Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO in Bezug auf eine Tochtergesellschaft, deren satzungsmäßiger Sitz in einem anderen Mitgliedstaat liegt als der ihrer Muttergesellschaft, nur widerlegt werden, sofe...