Rn 17
Schon unter Geltung des SchVG 1899 wurde im Schrifttum diskutiert, ob eine Versammlung der Anleihegläubiger auch dann durch das Insolvenzgericht einzuberufen ist, wenn deren Forderungen unstreitig nachrangig i.S.d. § 39 Abs. 2 InsO sind. Eine Nachrangigkeitsabrede kann sich dabei insbesondere aus den Anleihebedingungen ergeben. Nachrangige Forderungen sind nur dann zur Insolvenztabelle anzumelden, wenn das Insolvenzgericht hierzu explizit auffordert (§ 174 Abs. 3 InsO). Im Regelfall ergeht eine derartige Aufforderung nicht, weil schon die Insolvenzgläubiger im Rang des § 38 InsO keine Vollbefriedigung erhalten. Aus diesem Grunde erweist sich auch die Einberufung einer Versammlung der Anleihegläubiger zum Zwecke der Bestellung eines gemeinsamen Vertreters, dessen wesentliche Aufgabe im Rahmen eines Insolvenzverfahrens die Anmeldung der Forderungen der Anleihegläubiger zur Insolvenztabelle ist, als reiner Formalismus. Durch die Versammlung der Anleihegläubiger entstehen darüber hinaus – bei der gebotenen teleologischen Reduktion von § 19 Abs. 2 vermeidbare – Kosten, die vom Insolvenzschuldner zu tragen sind, also die Quotenerwartung der nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger weiter reduziert. Vor diesem Hintergrund ist, wenn die Forderungen der Schuldverschreibungsgläubiger nachrangig sind, (zunächst) keine Versammlung der Anleihegläubiger einzuberufen. In diesem Sinne hat sich auch das LG Bonn in einem Beschluss vom 30.01.2014 geäußert. Es führte zutreffend aus, dass der auf den in Rede stehenden Fall noch anwendbare § 18 SchVG 1899 (für § 19 SchVG kann letztlich nichts anderes gelten) dahin gehend teleologisch zu reduzieren bzw. einschränkend auszulegen ist, dass bei festgestellter Überschuldung keine Pflicht des Insolvenzgerichts zur Einberufung der Versammlung der Schuldverschreibungsgläubiger besteht, wenn deren Forderungen unstreitig nachrangig i.S.d. § 39 Abs. 2 InsO sind. Da bereits die Gläubiger im Rang von § 38 InsO nur eine quotale Befriedigung erlangen werden, wäre die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters bloße Förmelei, die der Effektivität des Verfahrens abträglich sein könnte. Ergibt sich im Rahmen der Abwicklung des Insolvenzverfahrens eine Vollbefriedigung der nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger, kann das eine Neubewertung durch das Insolvenzgericht im Sinne einer nachträglichen Einberufung der Versammlung der Schuldverschreibungsgläubiger (parallel zur Aufforderung zur Forderungsanmeldung gemäß § 174 Abs. 3 InsO) erfordern.
Rn 18
Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn in dem Insolvenzverfahren über einen Insolvenzplan abgestimmt werden soll. Da in einem derartigen Abstimmungstermin gemäß § 237 Abs. 1 Satz 1 InsO auch nachrangige Gläubiger zur Stimmabgabe berufen sein können, ist die Einberufung einer Versammlung der Anleihegläubiger in diesem Fall geboten.
Rn 19
Besteht zwischen den Anleihegläubigern und dem Insolvenzverwalter Streit darüber, ob die Ansprüche auf Rückzahlung des Anleihekapitals und auf Zahlung der Zinsen als nicht nachrangig (§ 38 InsO) oder als nachrangig (§ 39 InsO) zu qualifizieren sind, ist dieser im Rahmen eines Feststellungsrechtsstreits zu klären. Das entspricht allgemeiner Auffassung, hilft jedoch dem vor die Frage, ob eine Versammlung der (möglicherweise mit nachrangigen Forderungen ausgestatteten) Anleihegläubiger einzuberufen ist, gestellten Insolvenzgericht nicht weiter, da das Gericht vor Abschluss eines solchen Rechtsstreits eine Entscheidung zu treffen hat. Ist die Rechtslage zweifelhaft, wird das Gericht tendenziell eher von einer Einberufung absehen, da dann die Anleihegläubiger ihre Forderungen selbst zur Insolvenztabelle anmelden können und darüber hinaus die Insolvenzmasse nicht mit den – eventuell überflüssigen – Kosten für eine Gläubigerversammlung belastet wird. Beruft das Gericht demgegenüber eine Versammlung der Anleihegläubiger ein und bestellt diese einen gemeinsamen Vertreter, der als gesetzlicher Prozessstandschafter die Forderungen der Anleihegläubiger zur Tabelle anmeldet, ergeben sich verfahrensrechtliche Probleme, wenn sich später im Rahmen des Rangfeststellungsrechtsstreits ergibt, dass die Forderungen der Anleihegläubiger nachrangig sind und deshalb eine Versammlung der Anleihegläubiger nicht einzuberufen war.