Rn 20
Nach § 19 Abs. 2 Satz 1 können die Gläubiger nach Insolvenzeröffnung durch Mehrheitsbeschluss zur Wahrnehmung ihrer Rechte im Insolvenzverfahren einen gemeinsamen Vertreter für alle Gläubiger bestellen. Diese Vorschrift soll dahin gehend zu verstehen sein, dass in Abweichung zu § 5 Abs. 1 Satz 1 "nur" die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters möglich ist. Eine Beschlussfassung der Gläubigerversammlung nach Insolvenzeröffnung z.B. über eine Änderung der Anleihebedingungen wäre hiernach unzulässig. Ganz in diesem Sinne hatte dementsprechend auch das OLG Dresden judiziert, als es feststellte, dass die Anleihegläubiger nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldverschreibungsschuldners keinen Opt-in-Beschluss mehr fassen können. Ein derartiges (enges) Verständnis von § 19 Abs. 2 Satz 1 erschien vor dem Hintergrund, dass gerade in laufenden Insolvenzverfahren, in denen sich Insolvenzverwalter, Insolvenzschuldner und Gläubiger noch um einen Wegfall der Insolvenzreife bemühen, ein – häufig nur über eine Änderung der Anleihebedingungen erreichbarer – Sanierungsbeitrag der Anleihegläubiger angezeigt sein kann, schon immer zu kurz gegriffen. Dieser Ansicht folgt mittlerweile auch der BGH, der entschied, dass ein Opt-in-Beschluss auch noch nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Anleiheschuldners durch die Gläubiger gefasst werden kann. Voraussetzung ist, dass der Grundlagenbeschluss im Einverständnis mit dem Insolvenzverwalter, der die Rechte des Schuldners nach Verfahrenseröffnung wahrnimmt, ergeht. Ein derartiger Opt-in-Beschluss unterliegt also nach Insolvenzeröffnung keinen Beschränkungen. Ob etwas anderes für Beschlüsse nach § 5 Abs. 1 Satz 1 SchVG gilt, ist hingegen noch nicht endgültig durch den BGH geklärt. Man wird aber § 19 Abs. 2 Satz 1 generell nicht in dem oben beschriebenen engen Sinne verstehen können. Stattdessen meint die Vorschrift lediglich, dass nur die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters nach Insolvenzeröffnung allein aufgrund eines Beschlusses der Gläubigerversammlung möglich ist. Für eine Änderung der Anleihebedingungen ist demgegenüber nach Eröffnung des Verfahrens neben weiteren Voraussetzungen auch eine Zustimmung des Insolvenzverwalters erforderlich. Diese Konsequenz ergibt sich aus § 4, wonach die Änderung der Anleihebedingungen durch "Rechtsgeschäft" erfolgt. Sofern ein solches "Rechtsgeschäft" zwischen den Anleihegläubigern und dem Insolvenzverwalter zustande kommt und auch weitere eventuell zu berücksichtigende insolvenzrechtliche Modifikationen eingehalten werden, spricht nichts gegen eine Zulässigkeit der Änderung der Anleihebedingungen nach Insolvenzeröffnung.
Rn 21
Zu beachten ist jedoch die bereits im Zusammenhang mit dem Grundsatz der kollektiven Bindung aufgeworfene Frage, wie die Regelung in § 4, wonach nur während der Laufzeit der Anleihe deren Bestimmungen geändert werden können, zu verstehen ist. Sofern man entgegen der hier vertretenen Ansicht der Auffassung ist, dass nach der wirksamen Kündigung der Anleihe durch einen Schuldverschreibungsgläubiger dieser nicht mehr von der kollektiven Bindung eines Beschlusses der Gläubigerversammlung erfasst wird, ist eine Änderung der Anleihebedingungen während eines laufenden Insolvenzverfahrens praktisch nicht mehr durchführbar, da spätestens nach Insolvenzeröffnung eine Vielzahl von Schuldverschreibungsgläubigern ihre Anleihe kündigen.