Rn 22
Ist ein gemeinsamer Vertreter bestellt, ist er allein berechtigt und verpflichtet, die Rechte der Gläubiger im Insolvenzverfahren geltend zu machen (§ 19 Abs. 3 Halbsatz 1). Der einzelne Gläubiger ist dann also insbesondere nicht mehr befugt, seine Forderungen zur Insolvenztabelle anzumelden. Meldet er gleichwohl an, ist seine Forderung vom Insolvenzverwalter zu bestreiten. § 19 Abs. 3 Halbsatz 1 wohnt damit – ähnlich wie § 93 InsO – sowohl eine Sperrfunktion (d.h. der einzelne Anleihegläubiger kann seine Forderung nicht mehr zur Insolvenztabelle anmelden) als auch eine Ermächtigungsfunktion (d.h. der gemeinsame Vertreter wird treuhänderisch ermächtigt, die Forderungen der Gläubiger gebündelt einzuziehen) inne. Mit der Konzentration der Anmeldebefugnis beim gemeinsamen Vertreter wird das Ziel verfolgt, die Effizienz und die Rechtssicherheit im Insolvenzverfahren zu steigern sowie die Schuldverschreibungsgläubiger im Verfahren gleich zu behandeln.
6.1 Person des gemeinsamen Vertreters
Rn 23
Auch im Insolvenzverfahren gilt § 7 Abs. 1. Damit kann zum gemeinsamen Vertreter auch eine vom Insolvenzschuldner nicht unabhängige Person i.S.v. § 7 Abs. 1 Satz 2 bestellt werden. Das begegnet zwar Bedenken, ist aber aufgrund der Gesetzeslage geltendes Recht. Es kann daher bei Zweifeln an der Unabhängigkeit des gemeinsamen Vertreters den Anleihegläubigern nur angeraten werden, über dessen Abwahl, gegebenenfalls verbunden mit einer Neubestellung zu befinden. Da der gemeinsame Vertreter die Rechte der Anleihegläubiger gegenüber dem Insolvenzverwalter wahrzunehmen hat, ist eine Bestellung des Insolvenzverwalters zum gemeinsamen Vertreter wegen des bestehenden Interessenkonflikts ausgeschlossen.
6.2 Der gemeinsame Vertreter als rechtsgeschäftlicher Vertreter
Rn 24
Der gemeinsame Vertreter wird bei der Vertretung der Gläubiger nach Ansicht des Bundesgerichtshofs weder als gesetzlicher noch als organschaftlichen Vertreter tätig. Stattdessen übt er eine rechtsgeschäftliche Vertretung aus. Damit tritt er im Prozess weder als Partei kraft Amtes noch – entgegen der bisher h.M. im Schrifttum – als Prozessstandschafter auf. Er ist deshalb im Allgemeinen nicht befugt, die Forderungen der Gläubiger im eigenen Namen geltend zu machen. Vielmehr erfolgt die Geltendmachung, soweit seine Vertretungsbefugnis reicht, im fremden Namen. Das ist nach Auffassung des BGH angesichts der Bezeichnung als gemeinsamer "Vertreter" nur konsequent.
Der gemeinsame Vertreter hat jede Forderung einzeln und nicht eine sich aus der Addition aller Ansprüche der von ihm vertretenen Anleihegläubiger ergebende Gesamtsumme zur Tabelle anzumelden.
Rn 25
Von § 19 Abs. 3 Halbsatz 1 kann nicht, auch nicht durch Mehrheitsbeschluss abgewichen werden. Diese strenge Regelung rechtfertigt sich nach Ansicht des Gesetzgebers deshalb, weil sonst die Abwicklung eines Insolvenzverfahrens unter Beteiligung einer Vielzahl von Anleihegläubigern nicht rechtssicher und zügig durchgeführt und eine Gleichbehandlung der Gläubiger gewährleistet werden kann.
6.3 Der gemeinsame Vertreter und die Forderungsanmeldung bzw. der Forderungsfeststellungsprozess
Rn 26
Ob das vom Gesetzgeber mit der Schaffung von § 19 Abs. 3 Halbsatz 1 verfolgte Zielder Verfahrensvereinfachung durch die Begründung eines "verdrängenden" Mandats zur Forderungsanmeldung beim gemeinsamen Vertreter dann, wenn bei Insolvenzeröffnung noch kein gemeinsamer Vertreter bestellt worden ist, tatsächlich erreichbar ist, darf bezweifelt werden. So ist es allgemein üblich, dass die meisten Insolvenzgläubiger ihre Forderungen zeitnah nach Erhalt der Information, dass das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Emittenten eröffnet wurde, zur Insolvenztabelle anmelden. Das gilt auch für Anleihegläubiger. Sie warten also mit der Forderungsanmeldung nicht zu, bis die Gläubigerversammlung über die Bestellung/Nichtbestellung eines gemeinsamen Vertreters entschieden hat. Das geschieht nicht zuletzt, um zusätzliche Kosten, die mit der nachträglichen Anmeldung einer Forderung zur Insolvenztabelle einhergehen, zu vermeiden. Wenn aber eine Vielzahl von Anleihegläubigern, im Zeitpunkt der Bestellun...