Rn 2
Die kollektive Bindung wird in § 4 Satz 1 dahingehend legaldefiniert, dass Bestimmungen in Anleihebedingungen während der Laufzeit der Anleihe durch Rechtsgeschäft nur durch gleichlautenden Vertrag mit sämtlichen Gläubigern oder nach Abschnitt 2 des Gesetzes geändert werden können. Die Anleihebedingungen sind also während der Laufzeit der Anleihe einer Änderung zum einen nur dann zugänglich, wenn den Änderungen inhaltlich identische (wegen § 4 Satz 2) vertragliche Abreden mit allen Anleihegläubigern zugrunde liegen – ein im Hinblick darauf, dass dem Emittent häufig nicht alle Anleger bekannt sind, oft aussichtsloses Unterfangen. Angesichts dessen kommt eine Änderung der Anleihebedingungen regelmäßig nur mittels eines Beschlusses der Gläubigerversammlung mit einer qualifizierten Mehrheit (§§ 5 ff.) in Betracht.
Rn 3
Der Grundsatz der kollektiven Bindung, der eine Beschränkung der Individualrechte der Schuldverschreibungsgläubiger bewirkt, rechtfertigt sich nach Ansicht des Gesetzgebers aus der Notwendigkeit der Ausgestaltung der Schuldverschreibungen als fungible Wertpapiere.
Rn 4
Ob auch mit gerichtlicher Hilfe einseitig herbeigeführte Inhaltsänderungen ausgeschlossen sind oder wie sich ihre Wirkungen gegebenenfalls verallgemeinern lassen, hat der Gesetzgeber ausdrücklich der zukünftigen Klärung durch die Rechtswissenschaft und die Gerichte überlassen. Da Urteile nach den allgemeinen zivilprozessualen Regelungen immer nur zwischen den Streitparteien, also inter-partes-Wirkung entfalten, gilt eine rechtskräftige Entscheidung zunächst nur für den klagenden Gläubiger, nicht hingegen für das gesamte Anleihegläubigerkollektiv. Wegen des Gebots der Gläubigergleichbehandlung nach § 4 Satz 2 ist der Emittent jedoch gehalten, das zu Gunsten des klagenden Gläubigers ergangene Urteil auch auf die übrigen Gläubiger zu erstrecken.
Rn 5
Auch wenn das Gesetz ausdrücklich nur in § 24 Abs. 2 die Zustimmung des Schuldners zu Beschlüssen der Gläubiger verlangt, kann daraus nicht entnommen, dass in allen anderen Fällen eine Änderung der Anleihebedingungen ohne Zustimmung des Schuldners möglich ist. Aus dem in § 4 Satz 1 aufgestellten Erfordernis eines "Rechtsgeschäfts" ergibt sich vielmehr das Gegenteil. Die Zustimmung des Anleiheschuldners zur Beschlussfassung der Gläubiger kann sowohl vor der Abstimmung (als Einwilligung) als auch im Anschluss daran (als Genehmigung) erteilt werden. Regelmäßig wird bereits in der Einberufung der Gläubigerversammlung durch den Schuldner die Zustimmung liegen, da er als Einberufender Beschlussvorschläge zu machen hat (§ 13 Abs. 1). Etwas anderes mag ausnahmsweise im Fall einer Gläubigerversammlung nach § 9 Abs. 1 Satz 2 anzunehmen sein.
Rn 6
Die Rechtsnatur des Verhältnisses der Anleihegläubiger untereinander ist umstritten. Zum Teil wird das Kollektiv der Gläubiger, die jeweils isoliert in einem – aber für alle von ihnen durch identische Anleihebedingungen gleich ausgestaltetem – Rechtsverhältnis zum Schuldner stehen, als Gesamtgläubigerschaft gemäß § 428 BGB oder als GbR im Sinn des §§ 705 ff. BGB angesehen. Gegen Erstere spricht jedoch z.B., dass die Regelung zur Notgeschäftsführung gemäß § 744 Abs. 2 BGB nicht auf das Kollektiv der Anleihegläubiger passt. Gegen die Annahme einer GbR spricht demgegenüber der fehlende gemeinsame Zweck, da jeder Anleihegläubiger nur seinen eigenen Zweck (Geldanlage) verfolgt. Die herrschende Meinung geht deshalb zutreffend von einer Rechtsform sui generis aus.