Rn 15a

Befindet sich der Emittent in finanziellen Schwierigkeiten, droht ihm u. U. sogar schon die Insolvenz und beruft er deshalb eine Gläubigerversammlung ein, die über Sanierungsbeiträge der Anleihegläubiger beschließen soll, wird das in der Praxis häufig von Schuldverschreibungsgläubigern zum Anlass genommen, die Anleihe außerordentlich wegen Vermögensverschlechterung zu kündigen. Ob diese Individualkündigungen wirksam sind und welche Wirkungen sie haben, ist höchst umstritten.[25] Die Rechtsprechung ist uneinheitlich. Zum Teil wird der Kündigung die Wirksamkeit abgesprochen;[26] zum Teil wird sie aber auch für wirksam erachtet.[27] Richtigerweise wird zu differenzieren sein:

Sehen die Anleihebedingungen ein Sonderkündigungsrecht bei Vermögensverschlechterung bzw. bei einem "Angebot für eine allgemeine Schuldenregulierung" ausdrücklich vor, kann sich der Schuldverschreibungsgläubiger hierauf berufen.[28] Fehlt es – wie meist – an einer entsprechenden Klausel in den Anleihebedingungen, kann die Kündigung jedenfalls nicht auf § 490 BGB gestützt werden, da §§ 793 ff. BGB den §§ 488 ff. BGB (soweit sie denn überhaupt auf Anleihen Anwendung finden) als speziellere Normen vorgehen.[29] Die §§ 793 ff. BGB ihrerseits gestehen dem Anleihegläubiger ein Sonderkündigungsrecht wegen Vermögensverfall des Emittenten jedoch gerade nicht zu.

Auch aus § 314 BGB[30] kann ein Recht zur außerordentlichen Kündigung nicht hergeleitet werden, da die Norm Kündigungen zur Unzeit immanent ausschließt. Diese Kündigungssperre gilt ab dem Zeitpunkt der Bekanntmachung des Restrukturierungsvorhabens.[31] Soweit zum Teil der Ausschluss einer Kündigung nach § 314 BGB damit begründet wird, dass die finanzielle Lage des Emittenten in den Einstandspreis für die Anleihe eingepreist sei,[32] überzeugt das nicht zwingend, da nicht jeder kündigende Gläubiger die Anleihe nachträglich mit einem entsprechenden Abschlag erstanden haben wird. Im Ergebnis ist damit von einem Ausschluss von Individualkündigungen jedenfalls ab Bekanntmachung des Restrukturierungsvorhabens auszugehen.

[25] Ausführlich zu dieser Thematik: Seibt/Schwarz, ZIP 2015, 401 ff.
[26] OLG Köln, Urteil vom 9.7.2015, ZIP 2015, 1924 ff. (m. Anm. Knauthe, EWiR 2015, 729 f.) = ZInsO 2015, 1914 ff. (dazu Lürken, GWR 2015, 435).
[28] OLG Frankfurt/M., Urteil vom 17.9.2014, 4 U 97/14, ZIP 2014, 2176 ff. = ZInsO 2015, 148 ff.; in diesem Sinne wohl auch (wenngleich es i. S. Deikon an der Normierung eines Sonderkündigungsrechts in den Anleihebedingungen fehlte): OLG Köln, Urteil vom 9.7.2015, ZIP 2015, 1924 ff. (m. Anm. Knauthe, EWiR 2015, 729 f.) = ZInsO 2015, 1914 ff. (dazu Lürken, GWR 2015, 435).
[30] § 314 BGB kann durch die Anleihebedingungen abbedungen werden: OLG Frankfurt/M., Urteil vom 17.9.2014, 4 U 97/14, ZIP 2014, 2176 ff. = ZInsO 2015, 148 ff.
[31] OLG Köln, Urteil vom 9.7.2015, ZIP 2015, 1924 ff. (m. Anm. Knauthe, EWiR 2015, 729 f.) = ZInsO 2015, 1914 ff. (dazu Lürken, GWR 2015, 435).

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