Prof. Dr. Meliha Povlakic, Dr. Darja Softic Kadenic
a) Rechtsgrundlagen
Rz. 18
Aufgrund des verfassungsrechtlichen Staatsaufbaus besteht in Bosnien und Herzegowina weder ein einheitliches materielles Erbrecht noch ein einheitliches Nachlassverfahrensrecht. Die drei Erbgesetze, die in Bosnien und Herzegowina angewendet werden (siehe Rdn 1), sind miteinander nicht harmonisiert, so dass in Bosnien und Herzegowina über drei materiell rechtliche Erbordnungen gesprochen werden kann. Dieser Umstand kann interlokale Rechtskollisionen verursachen; allerdings fehlen in BuH den Teilrechtsordnungen übergeordnete Kollisionsnormen für interlokale Gesetzeskonflikte.
Rz. 19
In der Republik Srpska sind zwei Erbberufungsgründe vorgesehen: Gesetz und Testament, wobei das Testament gegenüber der gesetzlichen Erbfolge Vorrang genießt. Die Föderation BuH und Brčko Distrikt BuH sind die einzigen Gebiete des ehemaligen Jugoslawiens, in denen auch der Erbvertrag als Berufungsgrund vorgesehen worden ist, Art. 129 ErbG FBuH, Art. 133 ErbG BD BuH. Der Erbvertrag hat gegenüber der testamentarischen und gesetzlichen Erbfolge den Vorrang. Es ist möglich, dass gleichzeitig gesetzlich und testamentarisch bzw. vertraglich berufene Erben nebeneinander erben (z.B. in dem Fall, dass durch das Testament oder durch den Erbvertrag nur über einen Teil des Vermögens verfügt wurde, oder dass ein testamentarisch berufener Erbe die Erbschaft ausschlägt usw.). Es ist auch zulässig, dass ein Erbe aufgrund verschiedener Berufungsgründe zur Erbschaft berufen wird. Das römische Prinzip "nemo pro parte testatus pro parte intestatus decedere potest" gilt daher im bosnisch-herzegowinischen Recht nicht.
b) Prinzip der Universalsukzession
Rz. 20
Das Prinzip der universellen unmittelbaren Sukzession mortis causa beherrscht das Erbrecht in Bosnien und Herzegowina. Es gelten die gleichen Regeln unabhängig davon, wer der Erbe ist oder welche Vermögenswerte geerbt werden sollen. Neben Ausnahmen, die im internationalen Privatrecht vorgesehen worden sind, besteht eine einzige weitere Ausnahme bezüglich der Urheberrechte, und zwar in der Republik Srpska und Brčko Distrikt BuH (siehe Rdn 48). Die Erbschaft geht auf den Erben unmittelbar mit dem Tod des Erblassers über – es gibt kein hereditas iacens im bosnisch-herzegowinischen Recht. Als Erbe kann jede natürliche und juristische Person, auch Ausländer (siehe Rdn 10, 11 und 11), berufen werden.
c) Nasciturus
Rz. 21
Die Voraussetzung für die Erbfolge ist, dass der Erbe das Ableben des Erblassers erlebt hat bzw. in diesem Moment gezeugt war und danach lebendig geboren wurde, Art. 157 Abs. 1 und 2 ErbG FBuH, Art. 147 Abs. 1 und 2 ErbG RS, Art. 1162 Abs. 1 und 2 ErbG BD BuH. In welchem Zeitraum seit dem Ableben des Erblassers dies geschehen sollte, schreiben die Erbgesetze nicht vor. Allerdings bestimmt das Familienrecht bei der Feststellung des ehelichen Status eines Kindes, dass das Kind binnen 300 Tage ab der Beendigung der Ehe geboren sein sollte. Deswegen ist die Doktrin der Meinung, dass diese Frist auch für die Erbstellung des Nasciturus entscheidend ist. Allerdings ist diese Frist nur für die Frage der ehelichen Stellung eines Kindes maßgebend, und nach der Meinung der Autorinnen nicht relevant für die erbliche Stellung eines ungeborenen Kindes. Eine solche Regelung des Instituts des Nasciturus, welche die Frist von 300 Tage ab dem Ableben des Erblassers als maßgebend betrachten würde, würde keine Rücksicht darauf nehmen, dass medizinisch eine Befruchtung nach dem Tod des Erblassers möglich ist. In einem solchen Fall, in dem das Kind nicht im Zeitpunkt des Todes des Erblassers gezeugt bzw. nicht binnen 300 Tage nach dem Ableben des Erblasers geboren wurde, würden die Rechte eines Nasciturus nicht berücksichtigt. Bei einer solchen Auffassung könnte das ungeborene Kind nur testamentarisch bedacht werden. Diese Lösung, die keine Rücksicht auf die Möglichkeiten, welche die moderne Medizin mittlerweile bietet (z.B. eine postmortale Befruchtung), nehmen würde, wird als veraltet angesehen.
d) Kommorienten-Vermutung
Rz. 22
Sind mehrere Personen unter Umständen ums Leben gekommen, unter denen die Reihenfolge ihres Todes ungewiss ist, geht das Erbrecht in BuH von der Vermutung eines gleichzeitigen Ablebens aus. In diesem Fall hat keine der verstorbenen Personen Anspruch auf den Nachlass der anderen. Das Institut der Kommorienten ist das erste Mal ausdrücklich geregelt, und zwar in der Föderation BuH (Art. 157 Abs. 4 ErbG FBuH) und dem Brčko Distikt BuH (Art. 162 Abs. 4). Die gleiche Lösung wurde früher in der Doktrin und der Praxis akzeptiert und es kann davon ausgegangen werden, dass die gleiche, obwohl ungeschriebene, Lösung in der Republik Srpska gilt.
e) Erbunwürdigkeit
Rz. 23
Eine weitere Voraussetzung für die Erbfolge ist die Erbwürdigkeit. Die dre...