Prof. Dr. Meliha Povlakic, Dr. Darja Softic Kadenic
I. Rechtsquellen
Rz. 1
Die Quellen des internationalen Erbrechts bzw. des Erbrechts im Allgemeinen sind im Bosnischen und Herzegowinischen Recht spezifisch aufgrund der spezifischen verfassungsrechtlichen Ordnung Bosnien und Herzegowinas. Als selbstständiger Staat existiert Bosnien und Herzegowina (nachfolgend auch: BuH) seit 1992 nach der Abspaltung von dem ehemaligen Jugoslawien. Die Unabhängigkeitserklärung löste Aggression und Krieg in BuH aus, die durch das Daytoner Friedensabkommen beendet wurden. Annex 4 zu diesem Abkommen stellt die aktuelle Verfassung Bosnien und Herzegowinas dar. Nach dieser Verfassung besteht Bosnien und Herzegowina aus zwei Entitäten – der Föderation Bosnien und Herzegowina (nachfolgend auch: FBuH) und der Republik Srpska (nachfolgend auch: RS). Der Staat Bosnien und Herzegowina hat sehr begrenzte Kompetenzen, und zwar nur diejenigen, die in der Verfassung ausdrücklich gelistet sind. Dazu gilt die Präsumption, dass alle anderen Kompetenzen zugunsten der Entitäten bestehen. Weder internationales Privatrecht noch Erbrecht sind ausdrücklich in die Zuständigkeit des Dachstaates gegeben worden. Außerdem gibt es einen dritten Teil des Staates Bosnien und Herzegowina, und zwar ein Distrikt – Brčko Distrikt Bosnien und Herzegowinas (nachfolgend auch: BD BuH). Das Gebiet um die Stadt Brčko wurde durch die Entscheidung der internationalen Arbitrage zum Brčko Distrikt Bosnien und Herzegowinas erklärt, der mit umfassenden gesetzgeberischen Zuständigkeiten ausgestattet ist. Die drei Teile Bosnien und Herzegowinas haben die Kompetenzen im Bereich des Erbrechts wie folgt auch genutzt:
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In der Föderation BuH gilt seit 2014 ein neues Erbgesetz, das sowohl das materielle Recht als auch das Verfahrensrecht regelt: das Erbgesetz der Föderation BuH (nachfolgend: ErbG FBuH). |
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In der Republik Srpska wurden zwei Gesetze verabschiedet: das Erbgesetz der Republik Srpska (nachfolgend: ErbG RS), welches das materielle Erbrecht regelt, und das Außerstreitverfahrensgesetz (nachfolgend: AußstVG RS), welches unter anderem das Nachlassverfahren regelt. |
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In dem Brčko Distrikt BuH wurden dann im Jahre 2017 das bislang geltende Gesetz über Außerstreitverfahren und das alte Erbgesetz der Sozialistischen Republik Bosnien und Herzegowina vom 19.7.1973, das ursprünglich in ganz BuH galt, durch ein neues Erbgesetz (nachfolgend: ErbG BD BuH) ersetzt. Auch dieses Gesetz (Geltung ab April 2018) regelt sowohl das materielle Erbrecht als auch das Verfahrensrecht und ist fast identisch mit dem ErbG FBuH. |
Rz. 2
Das internationale Privatrecht bzw. internationale Erbrecht ist in Bosnien und Herzegowina primär durch das "Gesetz zur Lösung von Gesetzeskollisionen mit den Vorschriften anderer Staaten bezüglich bestimmter Verhältnisse" (Zakon o rješavanju sukoba zakona sa propisima drugih zemalja – nachfolgend: IPRG) geregelt. Es handelt sich um ein Gesetz des ehemaligen Jugoslawien, das in BuH nach der Unabhängigkeitserklärung übernommen worden ist und bis heute angewendet wird. Obwohl dieses Gesetz im gesamten BuH angewendet wird, ist die Grundlage hierfür unterschiedlich und spiegelt den komplexen Staatsaufbau Bosnien und Herzegowinas, der mit dem Daytoner Friedensabkommen festgelegt wurde, wider:
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In der Föderation BuH ist es zur Übernahme einzelner Gesetze des ehemaligen Jugoslawiens gekommen, darunter auch des IPRG. |
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Dagegen bestimmt in der Republik Srpska Art. 12 des Verfassungsgesetzes zur Durchführung der Verfassung der Republik Srpska aus dem Jahr 1992, dass alle Gesetze des ehemaligen Jugoslawiens weiterhin in der Republik Srpska angewendet werden unter der Voraussetzung, dass sie nicht im Widerspruch zu der neuen Rechtsordnung der Republika Srpska sind; somit wurde auch das IPRG übernommen. |
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Das Statut des Brčko Distrikts BuH sieht vor, dass alle bis dahin geltenden Gesetze gemäß der Entscheidung des Supervisors für Brčko Distrikt Bosnien und Herzegowinas vom 4.8.2006 weiter als Gesetze des Distrikts gelten. |
Auf die beschriebene Weise gilt das IPRG des ehemaligen Jugoslawiens noch immer in unveränderter Form in allen Teilen von BuH. Eine Reform des IPRG ist noch nicht geplant, obwohl dies zweifellos in mancher Hinsicht notwendig wäre.