Prof. Dr. Meliha Povlakic, Dr. Darja Softic Kadenic
Rz. 75
Mit den neuen ErbG FBuH und Brčko Distrikt BuH wurde in die Rechtssysteme dieser beiden Teile Bosnien und Herzegowinas der Erbvertrag als neuer Berufungsgrund neben und insbesondere vor dem Testament und dem Gesetz eingeführt. Es handelt sich um eine große Neuheit, da das bosnisch-herzegowinische Recht traditionell eine restriktive Haltung gegenüber vertraglichen Verfügungen über einen noch nicht geöffneten Nachlass einnahm und somit der Erbvertrag in der Republika Srpska weiterhin nicht zugelassen ist. In der Praxis besteht schon seit längerer Zeit insbesondere im Zusammenhang mit der vertraglichen Regelung der ehelichen Vermögensverhältnisse das Bedürfnis, diese auch über den Tod eines Ehegatten hinaus zu regeln. Ohne diese Möglichkeit konnte auch der Ehevertrag nicht in seiner vollen Kapazität ausgenutzt werden. Diesem praktischen Bedürfnis wurde bislang nicht in ganz BuH entsprochen.
Rz. 76
Der Erbvertrag ist reserviert für Ehepartner, zukünftige Ehepartner, wobei in diesem Fall der Vertrag erst mit Eheschließung seine Gültigkeit entfaltet, sowie für Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft. Der Erbvertrag ist ein höchstpersönliches und streng formales Rechtsgeschäft, das gemäß des Art. 130 Abs. 2 ErbG BD BuH der Form einer notariellen Beurkundung bedarf.
Rz. 77
In FBuH schrieb das Erbgesetz ebenso die Form der notariellen Beurkundung vor, allerdings wurden sowohl die Bestimmungen des Notargesetzes der Föderation BuH, als auch die des ErbG FBuH, und mehrerer anderer materieller Vorschriften, die die Form der notariellen Beurkundung als verpflichtende Form (forma ad solemnitatem) für eine Reihe von Rechtsgeschäften vorschrieben, vor dem Verfassungsgericht der Föderation Bosnien und Herzegowinas im Rahmen eines Verfahrens der abstrakten Normenkontrolle angefochten und durch die Entscheidungen U-15/10 und U-22/16 für verfassungswidrig erklärt.
Rz. 78
Das Verfassungsgericht FBuH hatte dem Gesetzgeber eine Übergangsfrist von sechs Monaten eingeräumt, um die Entscheidungen zu implementieren und die entsprechenden Gesetzesänderungen vorzunehmen. Diese Frist ist vor mehreren Jahren vergangen, ohne dass der Gesetzgeber aktiv wurde. Dies hat zur Folge, dass in FBuH die für verfassungswidrig erklärten Bestimmungen als nicht mehr existierend betrachtet werden und somit nicht mehr angewendet werden können. Somit ist hinsichtlich der Form einer ganzen Reihe von Rechtsgeschäften, die Immobilien zum Gegenstand haben und die gerade wegen Ihrer bedeutenden Rechtsfolgen ursprünglich der notariellen Beurkundung bedurften, eine Rechtslücke entstanden, welche zu verschiedenen Praxen führte und ein hohes Maß an Rechtsunsicherheit nach sich zog.
Rz. 79
Nach mehreren Jahren hat der Oberste Gerichtshof der FBuH auf Anfrage des Amtsgerichts Sarajevo im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens den Rechtstandpunkt bezogen, wonach diese Rechtsgeschäfte einer Unterschriftenbeglaubigung bedürfen, welche sowohl von Gerichten als auch von Notaren durchgeführt werden kann.
Eine weitere Folge der verfassungsgerichtlichen Entscheidungen in FBuH ist, dass nun in verschiedenen Teilen Bosnien und Herzegowinas unterschiedliche Formvorschriften gelten, da in RS und BD BuH die jeweiligen Verfassungsgerichte den gleichlautenden Antrag zur abstrakten Normenkontrolle der dort geltenden Notargesetze und anderer gesetzlicher Vorschriften, die die notarielle Beurkundung als Pflichtform vorsehen, abgelehnt und einen gegensätzlichen Standpunkt hinsichtlich der gleichen Sachlage als das Verfassungsgericht der Föderation BuH eingenommen haben.
Rz. 80
Die Vertragsparteien können sich mit dem Erbvertrag entweder gegenseitig oder nur eine Vertragspartei die andere einseitig unwiderruflich als Erben einsetzen. Allerdings kann die verfügende Vertragspartei zu Lebzeiten jeweils frei mit dem Gegenstand des Erbvertrages weiter verfügen, was mit einem stillschweigenden Widerruf des Vertrages gleichzusetzen ist. Diese Verfügungsfreiheit kann im Vertrag selbst ausgeschlossen bzw. begrenzt werden, was auch im Grundbuch vermerkt werden kann.
Rz. 81
Der Gegenstand des Erbvertrages unterscheidet sich von dem Gegenstand anderer Verträge mit erbrechtlichen Folgen (siehe Rdn 85–92). Im Gegensatz zum Leibrentenvertrag und zum Vertrag über die Aufteilung des Nachlasses zu Lebzeiten des Erblassers kann durch Erbvertrag auch über zukünftiges, im Moment des Vertragsschlusses noch nicht vorhandenes Vermögen verfügt werden. Die Rechte der Noterben bleiben grundsätzlich vom Erbvertrag unberührt, Art. 129 Abs. 2 ErbG FBuH, Art. 133 Abs. 2 ErbG BD BuH.
Rz. 82
Die grundsätzliche einseitige Unwiderruflichkeit des Erbvertrages greift nicht bei Vorliegen von Willensmängeln sowie bei nachträglicher Enterbung eines Vertragspartners seitens des anderen, die durch testamentarische Verfügung aus einem der gesetzlich vorgeschriebenen Enterbungsgründe (siehe Rdn 108 f.) vorgenommen wird, ungeachtet dessen, dass das Testament einen schwächeren Erbberufungs...