Prof. Dr. Meliha Povlakic, Dr. Darja Softic Kadenic
Rz. 21
Die Voraussetzung für die Erbfolge ist, dass der Erbe das Ableben des Erblassers erlebt hat bzw. in diesem Moment gezeugt war und danach lebendig geboren wurde, Art. 157 Abs. 1 und 2 ErbG FBuH, Art. 147 Abs. 1 und 2 ErbG RS, Art. 1162 Abs. 1 und 2 ErbG BD BuH. In welchem Zeitraum seit dem Ableben des Erblassers dies geschehen sollte, schreiben die Erbgesetze nicht vor. Allerdings bestimmt das Familienrecht bei der Feststellung des ehelichen Status eines Kindes, dass das Kind binnen 300 Tage ab der Beendigung der Ehe geboren sein sollte. Deswegen ist die Doktrin der Meinung, dass diese Frist auch für die Erbstellung des Nasciturus entscheidend ist. Allerdings ist diese Frist nur für die Frage der ehelichen Stellung eines Kindes maßgebend, und nach der Meinung der Autorinnen nicht relevant für die erbliche Stellung eines ungeborenen Kindes. Eine solche Regelung des Instituts des Nasciturus, welche die Frist von 300 Tage ab dem Ableben des Erblassers als maßgebend betrachten würde, würde keine Rücksicht darauf nehmen, dass medizinisch eine Befruchtung nach dem Tod des Erblassers möglich ist. In einem solchen Fall, in dem das Kind nicht im Zeitpunkt des Todes des Erblassers gezeugt bzw. nicht binnen 300 Tage nach dem Ableben des Erblasers geboren wurde, würden die Rechte eines Nasciturus nicht berücksichtigt. Bei einer solchen Auffassung könnte das ungeborene Kind nur testamentarisch bedacht werden. Diese Lösung, die keine Rücksicht auf die Möglichkeiten, welche die moderne Medizin mittlerweile bietet (z.B. eine postmortale Befruchtung), nehmen würde, wird als veraltet angesehen.