Prof. Dr. Meliha Povlakic, Dr. Darja Softic Kadenic
Rz. 3
Art. 30 Abs. 1 IPRG unterstellt die Erbfolge des gesamten Nachlasses dem Heimatrecht des Erblassers. Somit kennt das bosnisch-herzegowinische internationale Privatrecht bezüglich des anwendbaren Rechts in Nachlasssachen nur einen Anknüpfungspunkt, und zwar die Staatsangehörigkeit des Erblassers zum Zeitpunkt des Todes. Eine Rechtswahl ist nicht vorgesehen. Damit folgt BuH nicht der Entwicklung im IPR in der EU und Region, wo der gewöhnliche Aufenthalt zunehmend die Staatsangehörigkeit und den Wohnsitz als Anknüpfungspunkt ersetzt und wo Willensautonomie zu einem immer bedeutenderen Anknüpfungspunkt auch im Erbrecht wird.
Rz. 4
Bezüglich zweier wichtiger Fragen, und zwar der des anwendbaren Rechts und der der Rechtswahlmöglichkeit, unterscheidet sich das Recht in Bosnien und Herzegowina von den Ansätzen der in der Europäischen Erbrechtsverordnung Nr. 650/12 (nachfolgend: EuErbVO) vorgesehenen Lösungen. Die EuErbVO geht nämlich von dem gewöhnlichen Aufenthalt als dem allgemeinen Anknüpfungspunkt aus, Art. 22 Abs. 1 EuErbVO. Zur Rechtswahlmöglichkeit vgl. Art. 22 EuErbVO. Dagegen hält BuH noch immer an der Staatangehörigkeit als dem einzigen Anknüpfungspunkt fest, Art. 30 Abs. 1 IPRG und erlaubt keine Rechtswahlmögichkeit (siehe Rdn 3). Da Bosnien und Herzegowina noch kein EU-Mitgliedstaat ist, gilt die EuErbVO in Bosnien und Herzegowina nicht.
Rz. 5
Im Jahre 2008 wurde das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) zwischen der EU und BuH abgeschlossen, wonach BuH verpflichtet ist, den europäischen Besitzstand zu übernehmen, Art. 70 Abs. 3 SAA. In der ersten Phase betrifft diese Verpflichtung nur die Teile des acquis mit Binnenmarktrelevanz. Die Frage, ob eine Verpflichtung zur Übernahme von Verordnungen besteht, ist in der Region heftig diskutiert. Allerdings zeigen Beispiele von Kroatien, Montenegro und Nord Mazedonien, wie man sich auf den EU-Beitritt vorbereiten kann. Kroatien hat die relevanten Verordnungen im IPRG übernommen; die Bestimmungen wurden 2013, als Kroatien EU-Mitglied wurde, außer Kraft gesetzt, da die Verordnungen unmittelbar in den Mitgliedstaaten gelten. Die neuen IPR Gesetze von Montenegro und Nord-Mazedonien sind in großem Maße mit den EU-Lösungen im Bereich des Erbrechts im Einklang.