Prof. em. Dr. Suzana Bubic, Dr. Stefan Pürner
1. Allgemeines
Rz. 59
Das FamG FBiH 2005 folgt dem Zerrüttungsprinzip. In Art. 41 ist festgelegt, dass eine Ehe dann geschieden werden kann, wenn die ehelichen Verhältnisse "schwer und dauernd zerrüttet" sind. Anders als im deutschen Recht gibt es jedoch keine Trennungsdauer, die eine Zerrüttungsvermutung begründet. Da das Getrenntleben als solches somit keine ausdrücklich benannte Scheidungsvoraussetzung ist, fehlen auch spezielle Vorschriften hierzu.
Rz. 60
Auch hinsichtlich des Verfahrens gibt es erhebliche Unterschiede zwischen dem Recht der FBiH und dem deutschen Recht. Insbesondere sind Ehegatten mit Kindern verpflichtet, vor Stellung eines Scheidungsantrags ein Vermittlungsverfahren (Schlichtungsverfahren) durchzuführen (Art. 45 Abs. 1). Seit der Änderung des Familiengesetzes im Jahre 2014 besteht diese Verpflichtung auch während einer Schwangerschaft der Frau. Kinderlose Ehegatten können nach eigener Wahl vor dem Scheidungsverfahren ein solches Verfahren anstrengen (Art. 45 Abs. 3). Hinsichtlich des Scheidungsverfahrens wird darüber hinaus zwischen einer (streitigen) Scheidung auf Antrag eines Ehegatten und einem gemeinsamen Antrag beider Ehegatten auf einvernehmliche Ehescheidung unterschieden.
2. Ehescheidungsverfahren bei kinderlosen Eltern
a) Streitige Scheidung
Rz. 61
Kinderlose Ehegatten können einen Antrag auf Scheidung durch streitiges Urteil oder auf einvernehmliche Scheidung stellen (Art. 42). Auf diese Verfahren finden die im 7. Teil (Art. 268–379 FamG) enthaltenen Vorschriften über das Gerichtsverfahren in Familiensachen Anwendung. Soweit durch diese Vorschrift nicht etwas anderes bestimmt ist, finden darüber hinaus die Vorschriften des Gesetzes über das zivilrechtliche Erkenntnisverfahren des FGG und des Vollstreckungsgesetzes Anwendung (Art. 268 Abs. 2). Über die Ehescheidung entscheidet das Amtsgericht, wobei es keine gesonderten Abteilungen für Familiensachen gibt (Art. 275). Wird das Verfahren durch Klage nur eines Ehegatten eingeleitet, so hat dieser in seiner Klage die anspruchsbegründenden Tatsachen und die zu deren Feststellung geeigneten Beweise anzugeben. Das Gericht muss dann zu der Überzeugung gelangen, dass eine schwere und dauernde Zerrüttung der ehelichen Verhältnisse vorliegt, um die Ehe zu scheiden.
Rz. 62
Örtlich zuständig ist nach Wahl des Klägers das Gericht, in dessen Bezirk die Ehegatten ihren letzten gemeinsamen Wohnsitz hatten, oder das Gericht des Bezirks, in dem der Kläger zum Zeitpunkt der Klageerhebung Wohnsitz oder Aufenthalt hat. Anders als in Deutschland besteht in Familiensachen kein Anwaltszwang.
Rz. 63
Das Verfahren ist als eilbedürftiges Verfahren ausgestaltet. Insbesondere ist das Gericht verpflichtet, die Hauptverhandlung innerhalb einer Frist von 15 Tagen ab Eingang des Scheidungsantrags durchzuführen und das Urteil innerhalb einer weiteren Frist von ebenfalls 15 Tagen ab dem Schluss der Hauptverhandlung zu erlassen und abzusetzen (Art. 273 Abs. 2 und 3). Diese Fristen sind gerade einmal halb so lang wie die entsprechenden Fristen für normale Zivilverfahren. Praktisch betrachtet mögen diese Fristen unrealistisch sein. Sie sind jedoch im Einklang mit der allgemein zu beobachtenden Tendenz, die Richter in BiH durch enge Fristen zur Verfahrensbeschleunigung zu zwingen.
Rz. 64
Eheverfahren sind, ebenso wie Verfahren zwischen Eltern und Kindern, nichtöffentlich (Art. 277). Wenn der beklagte Ehegatte spätestens bis zum Schluss der Hauptverhandlung ausdrücklich erklärt, dass er die Begründetheit des Klageantrags nicht bestreitet, wird das Verfahren als einvernehmliche Scheidung durchgeführt. In allen anderen Fällen wird das streitige Scheidungsverfahren durchgeführt.
Rz. 65
Im Scheidungsverfahren hat das Gericht von Amts wegen über alle Fragen bezüglich der minderjährigen Kinder der Ehegatten zu entscheiden (Art. 304). Hinsichtlich sonstiger Scheidungsfolgen, wie z.B. Unterhaltsfragen, kann das Gericht nur auf entsprechenden Antrag hin entscheiden (Art. 205 Abs. 1). In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass der Antrag auf Unterhalt grundsätzlich im Scheidungsverfahren zu stellen und nach Rechtskraft des Scheidungsurteils nur noch ausnahmsweise zulässig ist (Art. 225 Abs. 2). Über die Aufteilung des gemeinsamen Vermögens (falls kein Ehevertrag abgeschlossen wurde) kann nicht im Scheidungsverfahren entschieden werden. Hierfür ist ein eigenes Verfahren, nach den Regeln des allgemeinen Erkenntnisverfahrens durchzuführen. Aus diesem Grund greift hier Art. 55 Abs. 2, der die Geltendmachung mehrerer Ansprüche in derselben Klage nur insoweit zulässt, als für alle Ansprüche dieselbe Verfahrensart vorgesehen ist, nicht.
Rz. 66
Aufgrund einer Entscheidung des Verfassungsgerichtes von BiH wurde Art. 43 aufgehoben, der vorsah, dass ein Ehemann während der Schwangerschaft der Frau und bis zum Ende des dritten Lebensjahres die Scheidung nicht beantragen kann. Begründet wurde dies mit dem Schutz von Mutter und Kind. Das Verfassungsgericht sah hierin jedoch eine...