Prof. em. Dr. Suzana Bubic, Dr. Stefan Pürner
A. Einleitung
Rz. 1
Bei Bosnien und Herzegowina (kurz: BiH) handelt es sich um ein komplexes staatliches Gebilde, das durch eigentümliche föderale, wenn nicht sogar konföderal zu nennende Merkmale gekennzeichnet ist. Diese sind nicht zuletzt Folge dessen, dass in der Verfassung des Staates (die einen Annex zum Friedensvertrag von Dayton darstellt), Zugeständnisse an durch den Krieg geschaffene Tatsachen gemacht werden mussten. Dadurch entstanden die beiden sog. Entitäten "Föderation Bosnien und Herzegowina" (kurz: FBiH) und "Republika Srpska" (kurz: RS), die weitgehende eigene Gesetzgebungskompetenz, beispielsweise auch im Bereich des Familienrechts, besitzen.
Rz. 2
Neben den Entitäten besteht noch der Distrikt Brčko als Gebiet sui generis, der – ebenso wie die Entitäten – eine eigene familien- und damit auch eherechtliche Gesetzgebung besitzt. Diese De-facto-Dreiteilung des Landes Bosnien und Herzegowina macht eine einheitliche Darstellung des dortigen Eherechts unmöglich.
Rz. 3
Deshalb wird nachfolgend das Eherecht der beiden Entitäten getrennt dargestellt. Hierbei wird zuerst auf die FBiH als größtem Landesteil eingegangen, dann auf die RS, wobei sich die Darstellung auf die wichtigsten Unterschiede zum Recht der Föderation beschränkt. Von einer Darstellung des Eherechts des Distrikt Brčko, der mit seinen gerade einmal 80.000 Einwohnern kleinster Landesteil ist, wird dagegen abgesehen.
B. Föderation Bosnien und Herzegowina (FBiH)
Rz. 4
Gegenwärtig gilt in der FBiH das Familiengesetz aus dem Jahr 2005 (im Folgenden: FamG FBiH). Bedingt durch die geringe Größe der FBiH und der allgemeinen Situation dort existieren neben dem Gesetzestext selbst kaum weitere Erkenntnisquellen zum Eherecht. In gewissem Maße kann jedoch auf die bisherige Literatur und Rechtsprechung zurückgegriffen werden, nachdem vorher geprüft wurde, inwieweit die dortigen Ausführungen auch noch unter dem neuen Gesetz Bestand haben.
I. Eheschließung
1. Materielle Voraussetzungen
a) Obligatorische Zivilehe
Rz. 5
Das FamG FBiH 2005 schreibt die obligatorische Zivilehe vor. Gemäß Art. 7 kann eine Ehe nämlich nur vor dem Standesamt als staatliche Stelle geschlossen werden. Art. 7 Abs. 3 stellt darüber hinaus klar, dass nach einer solchen standesamtlichen Eheschließung eine Eheschließung vor einer dafür zuständigen Person der eigenen Religionsgemeinschaft erfolgen kann.
b) Verlöbnis
Rz. 6
Das Recht der FBiH kennt keine Regelungen über die Eingehung, die Rechtsfolgen oder die Auflösung eines Verlöbnisses. Ein solches wird lediglich in Art. 19 quasi "zwischen den Zeilen" erwähnt, der festlegt, dass zwischen der Bestellung des Aufgebots und der Eheschließung selbst mindestens 30 Tage liegen müssen.
c) Persönliche Voraussetzungen
aa) Zwei Personen verschiedenen Geschlechts
Rz. 7
Gemäß Art. 6 kann die Ehe nur zwischen Personen verschiedenen Geschlechts eingegangen werden. Eine besondere, rechtlich geregelte Lebenspartnerschaft zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern besteht nicht. Insbesondere gibt es auch kein Sondergesetz, das eine solche Lebensgemeinschaft regeln würde. Darüber hinaus ist auch die außereheliche Lebensgemeinschaft, die besonders gesetzlich geregelt ist (Art. 3; siehe Rdn 98 f.), nur verschiedengeschlechtlichen Partnern vorbehalten.
bb) Ehefähigkeit
Rz. 8
Grundsätzlich kann eine Ehe dann nicht geschlossen werden, wenn einer der Ehegatten das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat (Art. 15 Abs. 1). Bei jüngeren Personen, die das 16. Lebensjahr schon vollendet haben, kann das – dem deutschen Amtsgericht in etwa entsprechende – Gemeindegericht die Eheschließung genehmigen, wenn es feststellt, dass hierfür "rechtfertigende Gründe" vorliegen, dass die entsprechende Person darüber hinaus körperlich und seelisch für die Ausübung der Rechte und Erfüllung der Verpflichtungen, die aus einer Ehe hervorgehen, geeignet ist und wenn die Ehe in ihrem Interesse liegt. Entschieden wird hierüber im sog. Nichtstreitverfahren, das weitgehend dem deutschen FamFG-Verfahren entspricht. Dem Gesetzeswortlaut ist eine Einschränkung, dass der andere Ehegatte das 18. Lebensjahr vollendet haben müsste, nicht zu entnehmen. Dements...