Leitsatz (amtlich)

1. Im Verfahren nach § 1666 BGB besteht ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden schon dann, wenn die Voraussetzungen dafür, die nur ausnahmsweise angezeigte Fremdunterbringung des Kindes möglichst schnell zu beenden, gegeben sind.

2. Zu den für das Rechtsverhältnis maßgebenden Vorschriften i.S.v. § 49 Abs. 1 FamFG gehört auch die Vorschrift des § 1696 BGB.

3. Zum Verhältnis von § 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB i.V.m. § 1696 Abs. 1 Satz 1 BGB zu § 1666 BGB im Verfahren der einstweiligen Anordnung.

4. Wenn in § 1671 Abs. 4 BGB geregelt ist, dass den Sorgerechtsanträgen nicht stattzugeben ist, soweit die elterliche Sorge aufgrund anderer Vorschriften abweichend geregelt werden muss, sind mit anderen Vorschriften insbesondere §§ 1666 ff. BGB gemeint, so dass der Fall erfasst wird, dass eine Kindeswohlgefährdung vorliegt, die durch die beantragte Übertragung der elterlichen Sorge oder eines Teilbereichs derselben nicht abgewendet werden kann.

5. Die Annahme einer nachhaltigen Gefährdung des Kindes setzt voraus, dass bereits ein Schaden des Kindes eingetreten ist oder eine Gefahr gegenwärtig in einem solchen Maße besteht, dass sich bei ihrer weiteren Entwicklung eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt. Dies gilt auch, wenn der Verdacht besteht, dass ein Elternteil ein Alkoholproblem hat.

6. Der Grundsatz der Kontinuität kann in Anwendung von § 1666 BGB nach einer längere Zeit fortbestehenden Inobhutnahme nicht gelten. Die Fremdunterbringung eines Kindes ist die Ausnahme und nur gerechtfertigt, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass anderenfalls das Kindeswohl gefährdet wäre. Die Aufrechterhaltung einer Fremdunterbringung ist nicht allein unter dem Gesichtspunkt gerechtfertigt, beim Kind Ruhe einkehren zu lassen.

 

Normenkette

BGB § 1666

 

Verfahrensgang

AG Bernau (Beschluss vom 10.04.2014; Aktenzeichen 6 F 278/14)

AG Bernau (Beschluss vom 26.03.2014; Aktenzeichen 6 F 278/14)

 

Tenor

Auf die Beschwerden der Eltern werden die Beschlüsse des AG Bernau bei Berlin vom 26.3.2014 und vom 10.4.2014 in der Fassung des Beschlusses vom 16.4.2014 abgeändert.

Das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Kind E. B..., geboren am ... Juli 2006, wird im Wege der einstweiligen Anordnung auf die Mutter übertragen. Im Übrigen üben die Mutter und der Vater die elterliche Sorge gemeinsam aus.

Es bleibt bei der erstinstanzlichen Kostenentscheidung. Die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens werden den Eltern je zur Hälfte auferlegt. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Der Beschwerdewert wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

 

Gründe

A. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist die elterliche Sorge für E. B., geboren am ... 7.2006. Aufgrund der vorangegangenen Gerichtsverfahren, derentwegen auf die Sachverhaltsdarstellung im Beschluss des AG vom 10.4.2014 Bezug genommen wird, übte der Vater zuletzt das Aufenthaltsbestimmungsrecht bei im Übrigen gemeinsamer elterlicher Sorge aus. Am 25.3.2014 hat das Jugendamt das Kind in Obhut genommen und das vorliegende Verfahren eingeleitet, indem es beim AG auf eine Kindeswohlgefährdung hingewiesen hat. Durch Beschluss vom 26.3.2014 hat das AG wegen Dringlichkeit ohne Anhörung der Beteiligten im Wege der einstweiligen Anordnung dem Vater das Aufenthaltsbestimmungsrecht entzogen, insoweit Pflegschaft angeordnet und das Jugendamt zum Pfleger bestellt. Am 2.4.2014 hat das AG die Eltern, die Vertreterin des Jugendamtes und die Einzelfallhelferin angehört. Durch Beschluss vom 3.4.2014 hat das AG die Verfahrensbeiständin bestellt und in deren Gegenwart am 7.4.2014 das Kind und die Direktorin der vom Kind besuchten Schule angehört. Wegen des Ergebnisses der Anhörungen wird auf die betreffenden "Gedächtnisprotokolle" verwiesen.

Durch den angefochtenen Beschluss vom 10.4.2014 hat das AG seinen Beschluss vom 26.3.2014 aufrechterhalten und dahingehend erweitert, dass dem Vater auch die Gesundheitsfürsorge, das Recht, Hilfe zur Erziehung zu beantragen und der Bereich der schulischen Angelegenheiten entzogen wird und auch insoweit das Jugendamt zum Pfleger bestellt. Wegen der tatsächlichen Feststellungen und der Begründung wird auf den Beschluss des AG Bezug genommen. Unter dem 14.4.2014 hat das Jugendamt darauf hingewiesen, dass - abgesehen vom Aufenthaltsbestimmungsrecht - die Mutter Mitinhaberin der elterlichen Sorge gewesen sei mit der Folge, dass hinsichtlich der dem Vater entzogenen weiteren Teilbereiche der elterlichen Sorge die Mutter nun allein sorgeberechtigt sei, so dass um Korrektur des Beschlusses vom 10.4.2014 gebeten werde. Durch Beschluss vom 16.4.2014 hat das AG unter Hinweis auf § 54 FamFG den Beschluss vom 10.4.2014 dahin abgeändert, dass in Ziff. 1. des Tenors der zweite Satz, also die Anordnung der Pflegschaft und die Bestellung des Jugendamtes zum Pfleger, entfällt.

Gegen die Entscheidung des AG haben die Eltern Beschwerde eingelegt. Der Vater trägt vor:

Die Voraussetzungen für einen Entzug von wesentlichen Bestandteilen der elterli...

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