Verfahrensgang
LG Neuruppin (Entscheidung vom 16.10.2018; Aktenzeichen 20 Ns 16/18) |
AG Zehdenick (Aktenzeichen 41 Ds 44/17) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 2. kleinen Strafkammer des Landgerichts Neuruppin vom 16. Oktober 2018 aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Neuruppin zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Zehdenick - Strafrichter - hat den Angeklagten mit Urteil vom 20. Februar 2018 wegen Betruges in zwei Fällen zu einer unbedingten Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt und einen Betrag von insgesamt 195,00 € eingezogen.
Gegen diese Entscheidung hat der Angeklagte form- und firstgerecht Berufung eingelegt.
Der Angeklagte blieb der zunächst anberaumten Hauptverhandlung am 13. Juli 2018 unentschuldigt fern. Zu diesem Termin war der Angeklagte durch einen Verteidiger mit schriftlicher Vertretungsvollmacht vertreten. Das Gericht verhandelte zunächst ohne den Angeklagten, setzte aber dann die Hauptverhandlung aus, da sich die Anwesenheit des Angeklagten zur Aufklärung der Sozialprognose als erforderlich herausstellte. Neuer Termin, zu dem das persönliche Erscheinen des Angeklagten angeordnet wurde, sollte von Amts wegen ergehen. Zur neu anberaumten Hauptverhandlung am 16. Oktober 2018 erschien der über die Möglichkeit der Verwerfung seiner Berufung bei Nichterscheinen belehrte Angeklagte erneut nicht.
Mit Urteil vom 16. Oktober 2018 hat die 2. kleine Strafkammer des Landgerichts Neuruppin daraufhin die Berufung des Angeklagten gemäß § 329 Abs. 4 StPO verworfen.
Gegen das Berufungsurteil richtet sich die am 19. Oktober 2018 bei Gericht eingegangene Revision des Angeklagten, die er nach Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe am 24. Oktober 2018 mit dem am 26. November 2018 bei Gericht angebrachten Anwaltsschriftsatz begründet hat. Der Angeklagte rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat beantragt, die Revision als unbegründet zu verwerfen.
II.
1. Die Revision ist gemäß § 333 StPO statthaft und gemäß §§ 341, 344, 345 StPO frist- und formgerecht bei Gericht angebracht worden. Sie hat mit der Verfahrensrüge in der Sache Erfolg.
Die Voraussetzungen für die Verwerfung der Berufung gemäß § 329 Abs. 4 StPO lagen nicht vor.
Nach § 329 Abs. 4 StPO hat das Gericht die Berufung des Angeklagten zu verwerfen, wenn der Angeklagte, dessen Anwesenheit trotz Vertretung durch einen Verteidiger erforderlich ist, zur Fortsetzung der Hauptverhandlung unter Anordnung seines persönlichen Erscheinens und Belehrung über die Möglichkeit der Verwerfung geladen wurde, aber auch zum Fortsetzungstermin ohne genügende Entschuldigung nicht erscheint und seine Anwesenheit weiterhin erforderlich bleibt. Die Voraussetzungen für eine Verwerfung ohne Sachentscheidung lagen hier nicht vor, weil der Angeklagte nicht zu einem Fortsetzungstermin erschienen ist, sondern zu einer neu anberaumten Hauptverhandlung nach Aussetzung der Hauptverhandlung.
Wird der abwesende Angeklagte durch einen vertretungsbefugten Verteidiger vertreten und darf deshalb seine Berufung nicht verworfen werden, ergibt sich für das Berufungsgericht nach § 329 Abs. 2, 4 StPO eine Prüfungspflicht. Das Berufungsgericht muss nach § 329 Abs. 2 S. 1 StPO bei Beginn der Hauptverhandlung, zu der der Angeklagte nicht erschienen ist, prüfen, ob seine Anwesenheit erforderlich ist.
Soweit dies bejaht wird, muss das Berufungsgericht nach § 329 Abs. 4 StPO den Angeklagten zu einer Fortsetzung der Hauptverhandlung laden und sein persönliches Erscheinen anordnen. Erst wenn der Angeklagte dann im Fortsetzungstermin der Hauptverhandlung unentschuldigt bei weiterbestehender Erforderlichkeit seiner Anwesenheit nicht erscheint, muss seine Berufung verworfen werden. Nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut muss es sich bei dem neuen Termin um eine Fortsetzung der Hauptverhandlung handeln, die innerhalb der Fristen des § 229 StPO zu erfolgen hat.
Eine über den Wortlaut hinausreichende erweiternde Auslegung scheidet im Hinblick auf den Ausnahmecharakter des § 329 Abs. 4 StPO innerhalb der Systematik der Verwerfungsvorschriften des § 329 StPO aus. Eine Berufungsverwerfung trotz Anwesenheit eines bevollmächtigten Verteidigers erfolgt nur unter zusätzlichen Voraussetzungen und innerhalb wesentlich engerer Grenzen als nach § 329 Abs. 1 Satz 1 und 2 StPO. Mit dem der Neuregelung zugrunde liegenden "Gesetz zur Stärkung der Rechte des Angeklagten auf Vertretung in der Berufungsverhandlung..." vom 17. Juli 2015 (BGBl. I S. 1933) sollte in Umsetzung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 8. November 2012 in der Rechtssache Neziraj ./. Bundesrepublik Deutschland das durch Artikel 6 Abs. 3 lit. c) EMRK garantierte Recht des Angeklagten, sich durch einen Verteidiger seiner Wahl verteidigen zu lassen, gestärkt werden.
Nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung sollte ...