Leitsatz (amtlich)
Der richterrechtlich bisher für den Bereich der ZPO, des FGG und des FamFG für gravierende Fälle richterlicher Untätigkeit anerkannte außerordentliche Rechtsbehelf der Untätigkeitsbeschwerde (vgl. OLG Saarbrücken, Beschl. v. 10.10.2011 - 6 WF 104/11, zitiert nach Juris; OLG Schleswig NJW 2011, 1823 = FamRZ 2011, 1085) ist nach Inkrafttreten des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungen im Hinblick auf die damit eröffnete Verzögerungsrüge unzulässig.
Verfahrensgang
AG Perleberg (Aktenzeichen 19 F 58/94) |
Tenor
Auf die Untätigkeitsbeschwerde der Antragstellerin hin wird das AG Perleberg angewiesen, das Versorgungsausgleichsverfahren beschleunigt fortzuführen und zum Abschluss zu bringen.
Gründe
I. Die Antragstellerin, die seit dem 1.7.2010 Altersrente bezieht, erbittet im Wege der Untätigkeitsbeschwerde, erhoben am 15.11.2011, das AG - Familiengericht - Perleberg anzuweisen, einem Versorgungsausgleichsverfahren bis spätestens 15.12.2011 seinen Fortgang zu geben.
Die Akten des AG sind nach wiederholter erfolgloser Anforderung an 4.1.2012 beim OLG eingegangen.
II.1. Die richterrechtlich bisher anerkannte Untätigkeitsbeschwerde (vgl. Zöller/Heßler, ZPO, 29. Aufl., § 567 Rz. 21 m.w.N.) ist vorliegend aufgrund der Umstände des Einzelfalles noch zulässig.
Der richterrechtlich bisher für den Bereich der ZPO, des FGG und des FamFG für gravierende Fälle richterlicher Untätigkeit anerkannte außerordentliche Rechtsbehelf der Untätigkeitsbeschwerde (vgl. OLG Saarbrücken, Beschl. v. 10.10.2011 - 6 WF 104/11, zitiert nach Juris; OLG Schleswig NJW 2011, 1823 = FamRZ 2011, 1085) kommt zwar nach Inkrafttreten des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungen an sich nicht mehr in Betracht. Der Gesetzgeber hat ausweislich seiner Gesetzesbegründung die konkret-präventive Beschleunigungswirkung der neu eingeführten Verzögerungsrüge als verfahrensrechtlich ausreichend betrachtet und von einer Beschwerdemöglichkeit für den Fall der Nichtabhilfe ausdrücklich abgesehen, um die Belastungen für die Praxis begrenzt zu halten (BT-Drucks. 17/3802, 16,). Die von der Rechtsprechung in gravierenden Fällen zum Teil kraft richterlicher Rechtsfortbildung entwickelten Rechtsbehelfe - namentlich eine außerordentliche Beschwerde - hat er mit Blick auf eine fehlende Rechtsbehelfsklarheit für grundsätzliche hinfällig erachtet (vergleiche BT-Drucks. 17/3802, 15, 16).
Der Antragstellerin stand indessen zum Zeitpunkt der Rechtsmitteleinlegung die erst seit Inkrafttreten des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungen eröffnete Verzögerungsrüge noch nicht zu Gebote, so dass sie, nachdem die Akte nunmehr der Rechtsmittelinstanz vorliegt, zumindest nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung auf den bisherigen Rechtsschutz angewiesen ist und nicht etwa auf eine prozessual überholte Sachlage zu verweisen wäre.
2. Die Untätigkeitsbeschwerde ist begründet, denn die Verfahrensdauer vor dem AG ist unangemessen lang.
Ob eine Verfahrensdauer unangemessen lang ist, beurteilt sich nach den Umständen des Einzelfalles, namentlich nach der Natur des Verfahrens und den Auswirkungen für die Beteiligten (BVerfG FamRZ 2008, 2258). Vorliegend bezieht die Antragstellerin eine Altersrente von nur etwa 500 EUR, lebt damit von Einkünften unterhalb des Existenzminimums und ist auf die verfahrensgegenständlichen Versorgungsleistungen unverzichtbar angewiesen. Dem Verfahren ist daher erhöhte Priorität zuzuordnen.
Wie sich den nunmehr dem Senat vorliegenden Akten des AG entnehmen lässt, trifft der in der Beschwerde dargestellte Verfahrensablauf im Wesentlichen zu. Zu ergänzen ist, dass es das AG unterlassen hat, die bereits seit 26.11.2010 vorliegende neue Auskunft der Deutschen Rentenversicherung vom 24.11.2010 nach § 5 VersAusglG für den früheren Ehemann an die Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin weiterzuleiten; auf das Schreiben der Deutschen Rentenversicherung vom 15.2.2011 zur noch zu erteilenden Auskunft für die Antragstellerin hat das AG erstmals am 11.11.2011 ein Telefonat mit einem Sachbearbeiter geführt, das offenbar ohne konkrete Ergebnisse blieb und dem AG offensichtlich keinen Anlass für entsprechende Beschleunigungsmaßnahmen gegenüber der auskunftspflichtigen Rentenversicherung geboten hat.
3. Bei dieser Sachlage war das AG anzuweisen, das Versorgungsausgleichsverfahren beschleunigt fortzuführen und zum Abschluss zu bringen.
4. Von einer Kostenentscheidung ist abzusehen, da es sich bei vorliegendem außerordentlichen Rechtsbehelf um ein einseitiges Beschwerdeverfahren ohne eigentlichen Gegner handelt (vergleiche OLG Brandenburg FamRZ 2009, 906 m.w.N.).
Fundstellen
FamRZ 2012, 1076 |
MDR 2012, 305 |
FamRB 2012, 80 |