Entscheidungsstichwort (Thema)

Richterablehnung wegen des Rechts, anderen Beklagten in Anspruch zu nehmen

 

Normenkette

ZPO § 42 Abs. 2, § 139

 

Verfahrensgang

LG Cottbus (Beschluss vom 18.09.2008; Aktenzeichen 3 O 124/07)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten zu 2) wird der Beschluss des LG Cottbus vom 18.9.2008 - 3 O 124/07 - aufgehoben. Das Befangenheitsgesuch des Beklagten zu 2) vom 4.12.2007 gegen den Vorsitzenden Richter am LG Engels wird für begründet erklärt.

Der Gegenstandswert wird auf 1.081,79 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Der Kläger nimmt die Beklagten als Gesamtschuldner auf Schadenersatz wegen der Beschädigung seines auf dem Schulparkplatz des S. Gymnasiums abgestellten Fahrzeugs in Anspruch. Bei einer von einem Sportlehrer des Gymnasiums geleiteten Übung zerstörte ein von einem Schüler geworfener Schleuderball eine Scheibe des Fahrzeugs. Der Kläger begründet den Amtshaftungsanspruch vorrangig mit der fehlenden Absicherung des Parkplatzes (Organisationsverschulden) und nachrangig mit einer Pflichtverletzung des die Übung leitenden Sportlehrers.

Zunächst hat der Kläger lediglich den Beklagten zu 1) als Träger der Schule und als Dienstherr des die Übung leitenden Sportlehrers in Anspruch genommen. Mit Hinweisbeschluss vom 12.9.2007 hat der abgelehnte Richter als Einzelrichter die Parteien darauf hingewiesen,

"dass die Klage gegen den derzeitigen Beklagten (Landkreis S.) unschlüssig sein könnte, allerdings ein Amtshaftungsanspruch gegen den richtigen Beklagten, d.h. die Anstellungskörperschaft des Lehrers S., nahezu in vollständiger Höhe durchgehen dürfte."

Mit Schriftsatz vom 22.11.2007 hat der Kläger die Klage erweitert. Er nimmt nunmehr das beklagte Land als Anstellungskörperschaft gemeinsam mit dem Beklagten zu 1) in Anspruch.

Der Beklagte zu 2) hat den Einzelrichter mit Schriftsatz vom 4.12.2007 wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Mit Beschluss vom 18.9.2008 hat das LG Cottbus das Ablehnungsgesuch für unbegründet erklärt. Der hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerde hat das LG mit Beschluss vom 23.12.2008 nicht abgeholfen und diese dem OLG Brandenburg zur Entscheidung vorgelegt.

II. Die sofortige Beschwerde ist zulässig und in der Sache begründet. Das Ablehnungsgesuch des Beklagten zu 2) vom 4.12.2007 hat Erfolg. Der das Ablehnungsgesuch zurückweisende Beschluss des LG vom 18.9.2008 war aufzuheben.

Die Besorgnis der Befangenheit ist nach § 42 Abs. 2 ZPO gegeben, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Misstrauen in die unparteiliche Amtsausübung des Richters rechtfertigen können nur objektive Gründe, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger und besonnener Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen gegenüber; rein subjektive Vorstellungen und Gedankengänge des Ablehnenden genügen nicht. Entscheidend ist, ob ein Prozessbeteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (BGH MDR 2003, 592; Zöller/Vollkommer, ZPO, 27. Aufl., § 42 Rz. 9 m.w.N.). Ein solcher Tatbestand liegt hier - aus der maßgeblichen Sicht des Beklagten zu 2) - vor. Der abgelehnte Richter hat den Anschein der Parteilichkeit erweckt, indem er darauf hingewirkt hat, die Klage auf einen - im Zeitpunkt des gerichtlichen Hinweises - nicht am Rechtsstreit beteiligten Dritten, den jetzigen Beklagten zu 2) zu erweitern.

Grundsätzlich obliegt es dem Gericht nach § 139 ZPO darauf hinzuwirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären und sachdienliche Anträge stellen. Ein im Rahmen der Aufklärungspflicht gebotenes richterliches Verhalten begründet niemals einen Ablehnungsgrund, selbst wenn dadurch die Prozesschancen einer Partei verringert werden (BVerfGE 42, 78). Die Reichweite dieser Pflichten wird begrenzt durch das unangetastete Prinzip der Parteiherrschaft über den Prozessstoff (Zöller/Greger, a.a.O., § 139 Rz. 2). Bei der Bestimmung der Grenzen von prozessrechtlich gebotener Aufklärung und Belehrung einer Partei einerseits und Neutralitätspflicht andererseits ist zu berücksichtigen, dass die Zivilprozessreform die richterliche Aufklärungs-, Hinweis- und Fürsorgepflicht wesentlich verstärkt hat und das Gericht zu einer umfassenden Erörterung des Rechtsstreits in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht verpflichtet ist (Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 42 Rz. 26). Weder durch den Hinweis auf eine mögliche fehlende Passivlegitimation der Beklagten zu 1) noch durch den Hinweis auf die mögliche Höhe der als begründet erachteten Forderung hat das Gericht gegen das Neutralitätsgebot verstoßen. Diese Hinweise bewegten sich im Rahmen der materiellen Prozessleitungspflicht und betrafen ausschließlich die am Prozess beteiligten Parteien. Durch den Hinweis auf den nach Ansicht des Gerichts "richtigen" Klagegegner, den jetzigen Beklagten zu 2), hat das Gericht jedoch die richterliche Hinweispfli...

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