Entscheidungsstichwort (Thema)

Sorgerechtsverfahren - Kindeswohlprüfung bei Schwerstbehinderung; keine Änderung der Verfahrensgegenstandes in der Rechtsmittelinstanz

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die gemeinsame Ausübung der Elternverantwortung setzt ein Mindestmaß an Übereinstimmung in wesentlichen Bereichen der elterlichen Sorge und insgesamt eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern voraus. Die gemeinsame elterliche Sorge ist daher aufzuheben, wenn eine schwerwiegende und nachhaltige Störung auf der Kommunikationsebene der Eltern vorliegt, die befürchten lässt, dass die Eltern auch in Zukunft nicht in der Lage sein werden, ihre Streitigkeiten in wesentlichen Bereichen der elterlichen Sorge konstruktiv und ohne gerichtliche Auseinandersetzungen beizulegen (vgl. BGHZ 211, 22-37, Rn. 27 m.w.N.).

2. Zur Gewichtung der Übertragungskriterien für die elterliche Sorge bei einem schwerstbehinderten Kind

3. Eine Änderung des Verfahrensgegenstandes im Beschwerdeverfahren ist im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit nicht zulässig (BGH FamRZ 1990, 606, 607). Insbesondere kann im Sorgerechtsverfahren das Beschwerdegericht nicht erstmals über den Umgang entscheiden (vgl. Staudinger/Dürbeck (2019) BGB § 1684, Rn. 502 m.w.N.).

 

Verfahrensgang

AG Neuruppin (Aktenzeichen 53 F 86/18)

 

Tenor

I. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts Neuruppin vom 30.10.2018 wird zurückgewiesen, ihr Hilfsantrag als unzulässig verworfen.

Auf die Anschlussbeschwerde des Antragsgegners wird in Abänderung des angefochtenen Beschlusses die Personensorge für das minderjährige Kind K... M... ..., geboren am ...2011, alleine auf den Antragsgegner übertragen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Antragstellerin zu tragen.

Wert des Beschwerdeverfahrens: 3.000 EUR

II. Der Antrag der Antragstellerin auf Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I. Die beschwerdeführende Antragstellerin wendet sich gegen die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für ihre Tochter K... auf deren Vater, den Antragsgegner, und erstrebt es für sich. Der anschlussbeschwerdeführende Antragsgegner beansprucht die Alleinsorge für das Kind.

Die Antragsbeteiligten sind die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern der am 03.09.2011 geborenen K... und trennten sich im November 2011. Das zunächst leblos geborene Mädchen wurde 18 Minuten reanimiert und ist aufgrund infantiler Zerebralparese und Zustand nach schwerem hypoxischem Hirnschaden im Rahmen peripartaler Hypoxie schwerstbehindert und komplett pflegebedürftig. Es lebte zunächst in einem Hospiz und seit Ende 2012 beim Kindesvater. Dieser ließ es in einer separaten Einliegerwohnung in seinem Haus durch einen Intensivpflegedienst 24 Stunden täglich betreuen. Wegen der Beendigung des bisherigen Pflegedienstes und bis zur Beauftragung eines neuen Pflegedienstes brachte er das Mädchen ab 21.07.2017 stationär in einem Pflegeheim der Humanitas unter.

Nach Auffassung der Antragstellerin, die insoweit das Aufenthaltsbestimmungsrecht für sich beansprucht hat, sollte K... in diesem Pflegeheim verbleiben, da ihr dort der Umgang mit ihrer Tochter problemlos offenstehe, während der Kindesvater - ihrer Auffassung nach bindungsintolerant - ihren Umgang mit K... in seinem Haus durch ein Hausverbot erschwere.

Der Kindesvater, der widerantragend insoweit das Aufenthaltsbestimmungsrecht für sich erstrebt hat, hat einen Intensivpflegedienst über 24 Stunden täglich in früherer Form für kindeswohldienlicher als die Heimunterbringung gehalten. Zudem hat er die Alleinsorge für sich erstrebt, und grundlegende Meinungsunterschiede der Eltern über Bewertung und Handhabung von K...s Behinderung geltend gemacht.

Mit dem angefochtenen Beschluss, auf den der Senat wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes verweist, hat das Amtsgericht das Aufenthaltsbestimmungsrecht dem Vater übertragen, unter Abweisung seines weitergehenden Antrags. Die vom Vater angestrebte Individualbetreuung verbessere K...s Lebensqualität verglichen mit ihrer Heimbetreuung. Eine Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge für weitere Teile, namentlich Gesundheitsfürsorge und Beantragung von Leistungen für das Kind, hat das Amtsgericht abgelehnt. Weder die unterschiedliche Herangehensweise der Eltern bezüglich der Gesundheitsfürsorge noch eine unzureichende Kommunikation zwischen Ihnen hierüber rechtfertigten die Aufhebung.

Mit ihrer hiergegen gerichteten Beschwerde erstrebt die Antragstellerin unter Beanstandung des Verfahrens das Aufenthaltsbestimmungsrecht weiterhin für sich, hilfsweise erstmals eine näher ausgestaltete Umgangsregelung.

Der Antragsgegner verteidigt den angefochtenen Beschluss in Ansehung der Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts und verweist zur Begründung seiner Anschlussbeschwerde auf unüberbrückbare Meinungsunterschiede der Eltern betreffend K...s Leben.

In Ansehung der Sorgerechtsentscheidung wiederholen und vertiefen beide Eltern im Wesentlichen ihr erstinsta...

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