Leitsatz (amtlich)

1. Die Verweigerung von Akteneinsicht ist mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar.

2. Es ist nicht zu beanstanden, wenn einem Rechtsanwalt Einsicht nur auf der Geschäftsstelle des AG gewährt wird.

 

Verfahrensgang

AG Fürstenwalde (Beschluss vom 29.04.2002; Aktenzeichen 10 F 272/01)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten des Antragstellers zurückgewiesen.

 

Gründe

Das als Beschwerde bezeichnete Rechtsmittel ist als sofortige Beschwerde gem. § 567 ZPO in der seit dem 1.1.2002 geltenden Fassung aufzufassen und als solche statthaft. Denn bei Verweigerung der Akteneinsicht bzw. wenn dem Antrag auf Akteneinsicht nicht in vollem Umfang entsprochen wird, steht der Partei die sofortige Beschwerde nach § 567 Abs. 1 ZPO n.F. zu (OLG Brandenburg v. 28.6.2000 – 7 W 17/00, OLGReport Brandenburg 2000, 361 = NJW-RR 2000, 1454 f.; OLG Schleswig Rpfleger 1976, 108 f.; Prütting in MünchKomm, ZPO, 2. Aufl., § 299 Rz. 14 f.; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 21. Aufl., § 299 Rz. 31; Zöller/Greger, ZPO, 23. Aufl., § 299 Rz. 5a; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 24. Aufl., § 299 Rz. 2; vgl. a. BFH v. 24.3.1981 – VII B 64/80, NJW 1982, 200; v. 31.8.1993 – XI B 31/93, CR 1994, 604 = NJW 1994, 751 f.; s.a. BGH MDR 1973, 580).

Die Zulässigkeit des Rechtsmittels begegnet auch i.Ü. keinen Bedenken. Insbesondere kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Notfrist von zwei Wochen für die Einlegung der sofortigen Beschwerde gem. § 569 Abs. 1 ZPO n.F. versäumt ist. Zwar ist die angefochtene Anordnung des AG vom 29.4.2002 ausweislich des bei den Akten befindlichen „Ab-Vermerks” am 30.4.2002 an den Antragsteller versandt und sein Rechtsmittel erst am 17.5.2002 eingelegt worden. Die Notfrist von zwei Wochen beginnt aber erst mit der Zustellung der Entscheidung, § 569 Abs. 1 S. 2 ZPO n.F. Denn Entscheidungen, die der sofortigen Beschwerde unterliegen, sind nach § 329 Abs. 3 ZPO stets zuzustellen. Die fehlende Zustellung löst den Fristbeginn nicht aus (Zöller/Gummer, ZPO, 23. Aufl., § 569 Rz. 4; vgl. auch Baumbach/Lauterbach/Albers, ZPO, 60. Aufl., § 569 Rz. 3). Da die angefochtene Anordnung dem Antragsteller nicht förmlich zugestellt und damit die Beschwerdefrist nicht in Lauf gesetzt worden ist, muss die sofortige Beschwerde als rechtzeitig eingelegt angesehen werden.

Das Rechtsmittel ist jedoch unbegründet. Der Antragsteller hat kein weiter gehendes Akteneinsichtsrecht, als vom AG angenommen.

Gemäß § 299 Abs. 1 ZPO können Parteien die Prozessakten einsehen und sich aus ihnen durch die Geschäftsstelle Ausfertigungen, Auszüge und Abschriften erteilen lassen. Die Parteien können nur Einsicht auf der Geschäftsstelle beanspruchen (BGH NJW 1961, 559; BFH NJW 1968, 864; BSG MDR 1977, 1051; Zöller/Greger, ZPO, 23. Aufl., § 299 Rz. 4a; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 60. Aufl., § 299 Rz. 13). Ob Akten zur Einsichtnahme herausgegeben oder nach auswärts versandt werden, steht im Ermessen des Vorsitzenden des Prozessgerichts (BGH NJW 1961, 559; MDR 1973, 580; BSG MDR 1977, 1051; OLG Schleswig Rpfleger 1976, 108 f.; OLG Düsseldorf v. 22.3.1987 – 18 U 53/87, MDR 1987, 768 [769]; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 21. Aufl., § 299 Rz. 10; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 60. Aufl., § 299 Rz. 13; vgl. zum Verwaltungsgerichtsprozess auch § 100bs. 2 S. 3 VwGO). Die Aktenversendung nach auswärts, auch an einen dortigen Anwalt, kommt regelmäßig nur an das örtlich zuständige AG zur Gewährung der Einsicht auf der dortigen Geschäftsstelle in Betracht, wobei wegen der Versendungskosten KV Nr. 9003 gilt (Zöller/Greger, ZPO, 23. Aufl., § 299 Rz. 4a; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 60. Aufl., § 299 Rz. 11). Eine Pflicht, dem vertretenden Rechtsanwalt in großzügiger Ermessensausübung die Akten in seine Kanzlei zu übersenden, besteht nicht (BGH NJW 1961, 559; OLG Brandenburg OLG-NL 1999, 238 [239]; a.A. OLG Hamm v. 1.8.1990 – 29 W 77/90, FamRZ 1991, 93 f.; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 24. Aufl., § 299 Rz. 1). Dies gilt ungeachtet der Stellung des Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege (BGH NJW 1961, 559; BFH NJW 1968, 864). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist nicht zu beanstanden, dass der Richter am AG sein Ermessen dahin ausgeübt hat, dem Antragsteller Akteneinsicht nur bei dem für seinen Wohnsitz zuständigen AG W. zu gewähren. Ein Ermessensfehlgebrauch ist nicht ersichtlich. Der Richter am AG hat sich, wie seiner Nichtabhilfeentscheidung vom 30.5.2002 zu entnehmen ist, davon leiten lassen, dass es Praxis des AG sei, Akten zum Zwecke der Einsichtnahme im Regelfall der Geschäftsstelle des auswärtigen AG zu übersenden. Daher kann insb. ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, Art. 3 Abs. 1 GG (vgl. hierzu BVerfG, BRAK-Mitteilungen 1998, 282; BFH v. 31.8.1993 – XI B 31/93, CR 1994, 604 = NJW 1994, 751 [752]), nicht angenommen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Gutjahr

 

Fundstellen

Haufe-Index 1103835

FamRZ 2004, 387

www.judicialis.de 2002

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