Leitsatz (amtlich)

Haben die Eltern in der Vergangenheit das so genannte Wechselmodell praktiziert, sich die Kinder also im regelmäßigen Wechsel bei dem einen und bei dem anderen Elternteil aufgehalten und ergibt sich aufgrund der übrigen Kriterien kein Vorrang eines Elternteils, so kann das Aufenthaltsbestimmungsrecht unter dem Gesichtspunkt des Förderungsprinzips demjenigen Elternteil übertragen werden, der eher die Gewähr dafür bietet, dass das bisher praktizierte Wechselmodell beendet wird.

 

Verfahrensgang

AG Strausberg (Beschluss vom 10.12.2001; Aktenzeichen 2 F 85/00)

 

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden dem Antragsteller auferlegt.

Der Beschwerdewert wird auf 5.000 DM festgesetzt.

 

Gründe

Die Beschwerde des Antragstellers ist gem. § 621e ZPO zulässig. Insbesondere ist das Rechtsmittel als fristgerecht eingelegt zu behandeln. Denn der Senat hat dem Antragsteller durch Beschluss vom 18.2.2002 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist gewährt.

Die Beschwerde ist unbegründet. Das AG hat das Aufenthaltsbestimmungsrecht für T. und N. zu Recht der Antragsgegnerin allein übertragen. Denn die Aufhebung der gemeinsamen Sorge hinsichtlich des Teilbereichs des Aufenthaltsbestimmungsrechts und die Übertragung desselben auf die Antragsgegnerin entspricht dem Wohl der Kinder am besten, § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB. Für die Aufhebung der elterlichen Sorge in dem genannten Teilbereich spricht schon, dass sich die Eltern über den Aufenthalt der Kinder nicht einigen können.

Bei der Frage, ob die Aufhebung der gemeinsamen Sorge in einem Teilbereich und die Übertragung insoweit auf einen Elternteil dem Wohl des Kindes am besten entspricht, sind folgende Gesichtspunkte zu beachten, wobei deren Reihenfolge im Hinblick auf ihren Stellenwert keine Bedeutung zukommt (vgl. Johannsen/Henrich/Jaeger, Eherecht, 3. Aufl., § 1671 BGB Rz. 84):

  • der Kontinuitätsgrundsatz, der auf die Stetigkeit und die Wahrung der Entwicklung des Kindes abstellt,

    die Bindung des Kindes an beide Elternteile und etwa vorhandene Geschwister,

  • der Wille des Kindes, soweit er mit seinem Wohl vereinbar ist und das Kind nach Alter und Reife zu einer Willensbildung im natürlichen Sinne in der Lage ist,
  • der Förderungsgrundsatz, nämlich die Eignung, Bereitschaft und Möglichkeit der Eltern zur Übernahme der für das Kindeswohl maßgeblichen Erziehung und Betreuung (vgl. zum Ganzen Palandt/Diederichsen, BGB, 61. Aufl., § 1671 Rz. 23; Johannsen/Henrich/Jaeger, Eherecht, 3. Aufl., § 1671 BGB Rz. 52 ff., 64 ff., 68 ff., 78 ff.).

Der Senat ist bei der unter diesen Gesichtspunkten vorgenommenen Überprüfung nach Einholung einer schriftlichen Stellungnahme des beteiligten Jugendamtes, nach Anhörung der Eltern und der Kinder sowie nach Vernehmung des Sachverständigen Dr. R. und des Zeugen H. zu der Überzeugung gelangt, dass es dem Wohl der Kinder T. und N. am besten entspricht, wenn die Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht ausübt.

Der Kontinuitätsgrundsatz ist vorliegend bei der Frage, welchem Elternteil das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu übertragen ist, ohne Bedeutung. Denn den Kindern bleibt, nachdem auch die Mutter wieder nach S. gezogen ist, ihr gewohntes Umfeld, ihre Schule bzw. Kindertagesstätte und ihr Freundeskreis in jedem Fall erhalten. Auch haben sich die Kinder seit der Trennung der Eltern im Februar 1999 im regelmäßigen Wechsel, zunächst wöchentlich, ab August 1999 bis heute 14-tägig, bei dem einen und bei dem anderen Elternteil aufgehalten und sind von diesem versorgt und betreut worden.

Aufgrund der Bindungen der Kinder an die Eltern ergibt sich kein Vorrang eines Elternteils ggü. dem anderen. Der Sachverständige Dr. R. hat in seinem Gutachten vom 13.7.2001 ausgeführt, die Kinder verfügten über tiefgehende emotionale Bindungen an beide Elternteile, die erwidert würden. Auch die Anhörung der Kinder durch den Senat hat keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass eines der Kinder einen stärkeren emotionalen Bezug zu einem Elternteil im Vergleich zum anderen hat.

Die Frage der Geschwisterbindung ist vorliegend nicht von Bedeutung, da kein Elternteil beabsichtigt, die beiden Kinder, zwischen denen nach den Angaben des Sachverständigen im Senatstermin vom 9.4.2002 eine sehr innige Bindung besteht, voneinander zu trennen.

Wille und Neigungen der Kinder können bei der Entscheidung keinen Ausschlag geben. Allerdings haben die Eltern bei ihrer Anhörung angegeben, die Kinder hätten sich an den 14-tägigen Wechsel in der Betreuung durch die Eltern gewöhnt und wollten mittlerweile nichts anderes mehr. Auch der Sachverständige hat bei seiner Vernehmung erklärt, beide Kinder hätten keine Schwierigkeiten damit, sich mal hier und mal dort aufzuhalten; für sie sei der 14-tägige Aufenthalt mal bei dem einen und mal bei dem anderen Elternteil ein „Stückchen Urlaub”. Einem derartigen Willen der Kinder kann aber selbst dann, wenn man ihren Neigungen mit Rücksicht auf das Alter schon Bedeutung zumessen würde (vgl. hie...

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