Leitsatz (amtlich)
Die Formulierung "Aus Ihren eingereichten Einkommensnachweisen ergibt sich vorerst ein monatlich zu zahlender Unterhalt von ... EUR" schafft keinen der Verwirkung zugänglichen Vertrauenstatbestand.
Verfahrensgang
AG Cottbus (Aktenzeichen 54 F 175/19) |
Tenor
Die gegen den Beschluss des Amtsgerichts Cottbus vom 21.02.2020 gerichtete sofortige Beschwerde des Antragsgegners vom 24.03.2020 wird zurückgewiesen.
Gründe
Die gemäß §§ 113 Abs. 1 FamFG, 127 Abs. 2 ZPO entsprechend statthafte und in zulässiger Weise eingelegte sofortige Beschwerde bleibt ohne Erfolg, sie ist unbegründet.
1. Im vorliegenden Verfahren macht das antragstellende Land für die Zeit ab März 2017 übergegangene Unterhaltsansprüche aus einer Unterhaltsverpflichtung des Antragsgegners gegenüber seinen beiden minderjährigen Kindern wegen der Zahlung von Unterhaltsvorschuss geltend. Im Streit ist zwischen den Beteiligten insoweit allein, inwieweit eine (jedenfalls teilweise) Verwirkung dieser übergegangenen Unterhaltsansprüche vorliegt.
2. Der Anspruch aus dem übergeleiteten Recht ist allerdings nicht - wie das Amtsgericht im Ergebnis zu Recht erkannt hat - verwirkt, weshalb es an den Aussichten für eine erfolgreiche Rechtsverteidigung des Antragsgegners fehlt und ihm daher durch das Amtsgericht zu Recht die begehrte Verfahrenskostenhilfe gem. §§ 113 Abs. 1 FamFG, 114 ZPO entsprechend versagt worden ist. Es fehlt an dem Vorliegen des (für einen Verwirkungstatbestand zwingend notwendigen) Umstandsmoments.
a. Bei dem Rechtsgedanken der Verwirkung (§ 242 BGB) kommt es in erster Linie auf das Verhalten des Berechtigten, nicht des Verpflichteten an. Mit der Verwirkung soll die illoyal verspätete Geltendmachung von Rechten gegenüber dem Verpflichteten ausgeschlossen werden. Zur Annahme der Verwirkung muss für den Schuldner ein vom Gläubiger gesetzter besonderer Vertrauenstatbestand vorliegen, der vom Schuldner konkret darzulegen und im Bestreitensfall zu beweisen ist (Viefhues, jurisPR-FamR 7/2018 Anm. 5). Dabei ist das Verhalten des Berechtigten nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen. Maßgeblich ist, ob der Titelschuldner dem Verhalten des Gläubigers bei objektiver Beurteilung entnehmen konnte, dass dieser sein Recht nicht mehr geltend machen würde, ob er sich also darauf einrichten durfte, dass er mit einer Rechtsausübung durch den Berechtigten nicht mehr zu rechnen hat (BGH NJW-RR 2014, 195, 196).
Der Vertrauenstatbestand kann dabei nicht durch bloßen Zeitablauf geschaffen werden (BGH NJW-RR 2014, 195, 196 und BGH NJW 2003, 824). Auch wenn der Gläubiger davon absieht, sein Recht ganz oder teilweise weiter zu verfolgen, kann dies für den Schuldner nur dann berechtigterweise Vertrauen auf eine Nichtgeltendmachung hervorrufen, wenn das Verhalten des Gläubigers Grund zu der Annahme gebe, er werde den Unterhaltsanspruch nicht mehr geltend machen, insbesondere weil er seinen Rechtsstandpunkt aufgegeben habe (vgl. bereits BGH FamRZ 1988, 370 ferner BGH FamRZ 2018, 681, 685 BGH FamRZ 2018, 589, 592). Der Schuldner muss also aufgrund konkreter vom Gläubiger gesetzter Verhaltensweisen berechtigterweise davon ausgehen dürfen, es werde nichts mehr kommen (OLG Köln FamRZ 2017, 1833 Viefhues, jurisPR-FamR 7/2018 Anm. 5).
b. Ein solches besonderes Vertrauen ist insbesondere nicht aufgrund des Schreibens des Jugendamtes an den Antragsgegner vom 05.05.2017 geschaffen worden. Darin lautet es insbesondere: Aus Ihren eingereichten Einkommensnachweisen ergibt sich vorerst ein monatlich zu zahlender Unterhalt von 102 EUR für beide Kinder.
Soweit der Antragsgegner meint, er habe aufgrund dieser Formulierung darauf vertrauen dürfen, dass er über den genannten Betrag von 102 EUR hinaus nicht mehr in Anspruch genommen werde, trägt dies nicht. Die gewählte Formulierung zeigt deutlich für jeden - auch den nicht juristisch versierten - Beteiligten, dass es sich um eine vorläufige Einschätzung betreffend der Höhe des Unterhalts handelt. Erst recht kann daraus nicht der Schluss gezogen werden, dass Land wolle auf weitere - über 102 EUR hinausgehende - übergegangene Unterhaltsansprüche endgültig verzichten, d.h. diese nie mehr einfordern wollen.
Schon von daher ist das Schreiben vom 05.05.2017 nicht geeignet, die hohen Anforderungen, die an die Schaffung eines Vertrauenstatbestandes zu stellen sind, zu erfüllen. Erst recht folgt dies aus dem Umstand, dass das Jugendamt dann nachfolgend auch ausdrücklich darauf hinweist, dass der Antragsgegner keinen Steuerbescheid vorgelegt habe und dass dieser bei der nächsten Abforderung einzureichen sei. Dadurch gibt das Jugendamt klar zu erkennen, dass eine abschließende Berechnung der Einkünfte des Antragsgegners jedenfalls zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht möglich war. Dies steht der Annahme eines Vertrauenstatbestandes evident entgegen.
Anders als der Antragsgegner meint, bedarf es auch nicht eines Vorbehaltes einer Nachforderung. Insoweit irrt er darüber, dass erst einmal ein - hier eben nicht vorliegender - Vertrauenstatbes...