Entscheidungsstichwort (Thema)
Zu Unrecht unterlassene Aussetzung des Versorgungsausgleichs in erster Instanz
Leitsatz (amtlich)
1. Zum Begriff der Leistung gem. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VAÜG.
2. Die in erster Instanz zu Unrecht unterlassene Aussetzung des Versorgungsausgleiches gem. § 2 Abs. 1 Satz 2 VAÜG kann das Beschwerdegericht selbst vornehmen.
Normenkette
VAÜG § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, S. 2
Verfahrensgang
AG Neuruppin (Urteil vom 09.10.2007; Aktenzeichen 53 F 161/06) |
Tenor
1. Das angefochtene Urteil wird hinsichtlich der Regelung des Versorgungsausgleiches (Sätze 2 und 3 des Tenors) abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Das Verfahren über den Versorgungsausgleich wird ausgesetzt.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
3. Der Beschwerdewert wird auf 1.000 EUR festgesetzt.
Gründe
Die in formeller Hinsicht bedenkenfreie Beschwerde der Beteiligten zu 1. hat auch in der Sache Erfolg.
Der angefochtene Beschluss des AG kann keinen Bestand haben. Das FamG hat den Versorgungsausgleich zwischen den geschiedenen Eheleuten zu Unrecht bereits jetzt durchgeführt.
I. Die Ehezeit i.S.d. § 1587 Abs. 2 BGB ist die Zeit vom 1.12.1991 bis zum 31.10.2006. Die Parteien haben innerhalb dieser Ehezeit nach den Auskünften der Beteiligten in der gesetzlichen Rentenversicherung folgende Anwartschaften erworben:
Antragstellerin monatlich 57,97 EUR nichtangleichungsdynamisch
Antragstellerin monatlich 79,92 EUR angleichungsdynamisch
Antragsgegner monatlich 0 EUR nichtangleichungsdynamisch
Antragsgegner monatlich 213,67 EUR angleichungsdynamisch
Bei dieser Sachlage kann gem. § 2 Abs. 1 VAÜG der Versorgungsausgleich nicht durchgeführt werden. Nach dieser Vorschrift ist der Versorgungsausgleich nur dann durchzuführen, wenn
1. die Ehegatten in der Ehezeit keine angleichungsdynamischen Anwartschaften minderer Art erworben haben und
a) nur angleichungsdynamische Anwartschaften zu berücksichtigen sind oder
b) der Ehegatte mit den werthöheren angleichungsdynamischen Anwartschaften auch die werthöheren nichtangleichungsdynamischen Anwartschaften erworben hat.
2. die Voraussetzungen der Nr. 1 nicht vorliegen, aus einem im Versorgungsausgleich zu berücksichtigenden Anrecht aufgrund des Versorgungsausgleichs jedoch Leistungen zu erbringen oder zu kürzen wären.
Da diese Voraussetzungen nicht vorliegen, ist der Beschluss abzuändern und das Verfahren über den Versorgungsausgleich nach § 2 Abs. 1 Satz 2 VAÜG auszusetzen. Zu dieser Aussetzungsentscheidung ist der Senat auch befugt Zu der in erster Instanz zu Unrecht unterbliebenen Aussetzungsentscheidung ist der Senat auch befugt (OLG Naumburg OLGReport Naumburg 2006, 66, 67; OLG Karlsruhe, NJWE-FER 1999, 262, 263 m.w.N.; OLG Nürnberg NJW-RR 1995, 1031; OLG Frankfurt OLGReport Frankfurt 1993, 304; Palandt/Brudermüller, BGB, 67. Aufl. 2008, § 2 VAÜG Rz. 12; Götsche, FamRZ 2002, 1235 [1244]; a.A. OLG Stuttgart, Beschl. v. 28.12.2007 - 15 UF 240/07; OLG Karlsruhe NJW-RR 1996, 903; OLG München OLGReport München 1995, 45; FAKomm-FamR/Rehme, 6. Aufl. 2008, § 2 VAÜG Rz. 7; Rotax/Vogel, Praxis des Familienrechts, 3. Aufl. 2007, Teil 10, Rz. 1175). Anderenfalls wäre der Senat gehalten, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und an das AG zur Aussetzung zurückzuverweisen, was einen überflüssigen Formalismus bedeuten würde und aus praktischen Erwägungen deshalb abzulehnen ist. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn die Anordnung der Aussetzung durch den Senat als Beschwerdegericht aus der Sicht der Beteiligten dem Verlust einer Instanz gleichkommen würde. Dies ist aber nicht der Fall. Die Aussetzung des Versorgungsausgleiches gem. § 2 Abs. 1 Satz 2 VAÜG stellt keine Endentscheidung, vielmehr eine bloße Zwischenentscheidung dar (BGH, FamRZ 2003, 1005; OLG Brandenburg OLGReport Brandenburg 2006, 477, 478; OLG Jena, OLG-NL 2005, 40, 41; OLG Dresden, FamRZ 2005, 1572). Mit der Entscheidung des Beschwerdegerichts über die Aussetzung des Verfahrens wird zugleich das erstinstanzliche Verfahren, welches anhängig bleibt (OLG Naumburg, Beschl. v. 8.10.2007 - 3 UF 201/07, zitiert nach juris), ausgesetzt (vgl. auch OLG Karlsruhe, NJWE-FER 1999, 262, 263). Sobald die Voraussetzungen einer Wiederaufnahme gem. § 2 Abs. 2 oder 3 VAÜG vorliegen, kann das Verfahren vor dem AG wieder aufgenommen werden.
II. Insbesondere liegen die Voraussetzungen des sog. Leistungsfalls nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VAÜG nicht vor.
1. Liegen die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VAÜG nicht vor, so ist der Versorgungsausgleich gleichwohl durchzuführen, sofern aus einem zu berücksichtigenden Anrecht aufgrund des Versorgungsausgleichs Leistungen zu erbringen oder zu kürzen wären, sog. Leistungsfall.
a) Problematisch ist, ob die hier bezogene Rente wegen verminderter Erwerbsunfähigkeit als Leistung i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VAÜG anzusehen ist, obgleich nach der erteilten Auskunft noch mit ihrer Entziehung zu rechnen ist. Leistungen sind alle dem Versorgungsausgleich unterfallenden Vers...