Entscheidungsstichwort (Thema)
Zugewinnausgleichsverfahren: wesentlicher Verfahrensmangel bei überraschender Zurückweisung eines Beweisantrittes wegen mangelnder Substantiierung; Mindestvoraussetzung eines Zugewinnausgleichsanspruchs
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Überraschungsentscheidung durch Verletzung der richterlichen Hinweispflicht nach § 139 Abs. 2 ZPO begründet einen wesentlichen Verfahrensmangel nach § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO (vgl. Musielak/Voit/Ball, 16. Aufl. 2019, ZPO § 538 Rn. 11 m.w.N.).
2. Auf mangelnde Substantiierung darf sich ein Gericht nie stützen, bevor auf die Ergänzungsbedürftigkeit des Sachvortrages hingewiesen worden ist (vgl. Heßler in: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, § 538 ZPO, Rn. 20). Insoweit ist nach § 139 Abs. 2 ZPO eine Erörterung unerlässlich, wenn Tatsachenvortrag, Beweisangebote oder Anträge unvollständig, unklar oder neben der Sache sind, es sei denn, die Partei war bereits durch eingehenden und von ihr erfassten Vortrag des Verfahrensgegners zutreffend über die Sach- und Rechtslage unterrichtet (vgl. Greger in: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, § 139 ZPO, Rn. 3, 6a jew. m.w.N.).
3. Zur schlüssigen Darstellung eines Zugewinnausgleichsanspruchs aus § 1378 BGB genügt regelmäßig die Bezifferung der beiderseitigen Endvermögen; diese stellen bei regelmäßig fehlenden Verzeichnissen der Anfangsvermögen nach § 1377 Abs. 3 BGB den jeweiligen Zugewinn der Ehegatten dar (vgl. BeckOK BGB/Cziupka, 52. Ed. 1.11.2019, BGB § 1374 Rn. 43 m.w.N.).
Verfahrensgang
AG Nauen (Aktenzeichen 20 F 29/17) |
Tenor
I. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Amtsgerichts Nauen - Familiengericht - vom 18.07.2017 samt des zugrundeliegenden Verfahrens aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens - an das Familiengericht zurückverwiesen.
Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren: bis 50.000 EUR
II. Der Antragstellerin wird Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren bewilligt, unter Beiordnung von Rechtsanwältin..., Nauen.
Gründe
I. Die beschwerdeführende Antragstellerin beansprucht vom Antragsgegner, ihrem geschiedenen Ehemann, Zugewinnausgleich.
Hierzu hat sie die Daten zu Eheschließung und Zustellung des Scheidungsantrages vorgebracht und Anfangs- und Endvermögen beider Beteiligter beziffert. Der Antragsgegner ist dem Vorbringen der Antragstellerin in Ansehung seines Anfangs- und Endvermögens und des Endvermögens der Antragstellerin teilweise entgegengetreten (13).
In Erwiderung hierzu hat die Antragstellerin unter Hinweis auf die zwischen den beteiligten unumstrittene Größe und Identität eines Immobiliengrundstücks für dessen 3,5 %ige jährliche Wertsteigerung Sachverständigenbeweis angeboten (25, 26). In einem im Termin vom 27.06.2017 nachgelassen Schriftsatz vom 07.07.2017 hat der Antragsgegner geltend gemacht, der Beweisantritt der Antragstellerin sei vollkommen unsubstantiiert und liefe auf einen Ausforschungsbeweis hinaus (47).
Im wesentlich mit dieser Begründung hat das Amtsgericht mit dem angefochtenen Beschluss, auf den der Senat wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes verweist, den Antrag abgewiesen.
Mit ihrer hiergegen gerichteten Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr erstinstanzliches Zahlungsbegehren uneingeschränkt weiter. Das Amtsgericht habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, indem es ohne vorherigen Hinweis in der mündlichen Verhandlung ihren Beweisantritt zur Wertsteigerung der Immobilie im Beschluss überraschend als vollkommen unsubstantiiert und als Ausforschungsbeweis qualifiziert habe. Sie ergänzt ihr Vorbringen zu weiteren wertbildenden Merkmalen des Hausgrundstücks und bittet in Ansehung notwendig einzuholender Sachverständigengutachten um Aufhebung und Zurückverweisung des Verfahrens in die I. Instanz (125).
Sie beantragt,
1. unter Aufhebung des Beschlusses des Amtsgerichts Nauen vom 18.07.2017 zum AZ 20 F 29/17 wird der Antragsgegner verurteilt, der Antragstellerin 47.147 EUR sowie hierauf 5% Zinsen p.a. seit Zustellung der Antragsschrift vom 14.03.2017 zu zahlen;
2. den vorbezeichneten Beschluss aufzuheben und das Verfahren an die erste Instanz zurückzuverweisen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er verteidigt den angefochtenen Beschluss und vertieft sein Vorbringen zum Wert der Immobilie in seinem Endvermögen mit näheren, gleichfalls unter Sachverständigenbeweis gestellten Ausführungen zu - seiner Ansicht nach - schwerwiegenden Substanzmängeln (115, 116).
Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Sach- und Streitstandes verweist der Senat auf die Korrespondenz im Beschwerderechtszug. Er entscheidet, wie angekündigt (134), ohne mündliche Verhandlung, §§ 117 Abs. 3, 68 Abs. 3 S. 2 FamFG, von der ein weiterer Erkenntnisgewinn nicht zu erwarten ist. Eine erneute Anhörung der Beteiligten ist überdies entbehrlich, wenn der angefochtene Beschluss in jedem Fall aufzuheben ist (vgl. Schulte-Bune...