Entscheidungsstichwort (Thema)
Fiktives Einkommen bei gesteigerter Unterhaltspflicht
Leitsatz (redaktionell)
1. Im Hinblick auf die Vielzahl von Arbeitssuchenden für geringfügige Beschäftigungen spricht die allgemeine Lebenserfahrung dagegen, dass solche Stellen an Arbeitnehmer vergeben werden, die ihre Arbeitskraft schon für acht Stunden täglich einsetzen.
2. Unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit einer Fleischereifachverkäuferin gegenüber ihren zwei Kindern
Normenkette
BGB § § 1601 ff., §§ 1601, 1603 Abs. 1-2; GG Art. 6 Abs. 2; ZPO § 114
Verfahrensgang
AG Neuruppin (Beschluss vom 17.09.2008) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten vom 15.10.2008 wird der Beschluss des AG Neuruppin vom 17.9.2008 aufgehoben und das AG angewiesen, erneut über den Prozesskostenhilfeantrag der Beklagten zu befinden.
Gründe
Die gem. § 127 Abs. 2 ZPO statthafte und in zulässiger Weise eingelegte sofortige Beschwerde hat in der Sache insoweit Erfolg, als der angefochtene Beschluss aufzuheben war und das AG anzuweisen ist, erneut über die von der Beklagten begehrte Prozesskostenhilfe unter Berücksichtigung der nachfolgenden Ausführungen zu befinden.
Dabei ist es nicht zweifelhaft, dass den minderjährigen Kindern ggü. der Beklagten Unterhaltsansprüche grundsätzlich aus §§ 1601 ff. BGB zustehen, denn an der Bedürftigkeit der betroffenen Kinder bestehen keine Bedenken. Ebenso ist das AG zu Recht davon ausgegangen, dass dem Verpflichteten insoweit die Darlegungs- und Beweislast trifft, wenn er sich ggü. dem geltend gemachten Mindestunterhalt auf seine Leistungsunfähigkeit berufen will.
Das AG hat aber zum einen verkannt, dass die Beklagte Bemühungen um einen neuen Arbeitsplatz durchaus dargelegt hat und zum anderen selbst wenn die Beklagte ihrer Erwerbsobliegenheit nicht durch hinreichende Bemühungen um Aufnahme einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit nachgekommen ist, wird das AG erneut zu prüfen haben, in welchem Umfang ihr unter Berücksichtigung ihrer Erwerbsbiographie Einkünfte aus einer Vollzeitbeschäftigung fiktiv zugerechnet werden können.
Nach § 1603 Abs. 1 BGB entfällt die Verpflichtung zur Zahlung des Verwandtenunterhalts, wenn und soweit der Unterhaltspflichtige bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, den Unterhalt ohne Gefährdung seines eigenen angemessenen Unterhalts zu gewähren. Dabei trifft die Eltern minderjähriger oder privilegierter volljähriger Kinder allerdings eine gesteigerte Unterhaltspflicht, da sie nach § 1603 Abs. 2 BGB verpflichtet sind, alle verfügbaren Mittel zu ihrem und der Kinder Unterhalt gleichmäßig zu verwenden. Hieraus sowie aus Art. 6 Abs. 2 GG folgt auch die Verpflichtung der Eltern zum Einsatz der eigenen Arbeitskraft. Daher ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass nicht nur die tatsächlichen, sondern auch die fiktiv erzielbaren Einkünfte berücksichtigt werden, wenn der Unterhaltsverpflichtete eine ihm mögliche und zumutbare Erwerbstätigkeit unterlässt, obwohl er diese bei gutem Willen ausüben könnte. Grundvoraussetzung eines jeden Unterhaltsanspruchs bleibt allerdings die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten. Überschreitet der ausgeurteilte Unterhalt die Grenze des Zumutbaren, ist die Beschränkung der Dispositionsfreiheit des Verpflichteten im finanziellen Bereich als Folge der Unterhaltsansprüche des Bedürftigen nicht mehr Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung und kann vor dem Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz nicht bestehen (BVerfG FamRZ 2007, 273 ff.; BVerfG FamRZ 2008, 1145).
Die Beklagte, die nach ihrem Vortrag insbesondere auch nach dem ihren Bewerbungen beigefügten Lebenslauf eine Ausbildung zur Fachverkäuferin im Nahrungsmittelhandwerk, Fachrichtung Fleisch/Wurst, durchlaufen hat, hat nur kurz in dem von ihr erlernten Beruf gearbeitet und zwar im Mai/Juni 2000 und arbeitet seit Juli 2000 im Rotationssystem bei der Firma M.. Bei der seit acht Jahren ausgeübten Tätigkeit, die sie offensichtlich aufgrund eines gemeinsamen Entschlusses mit ihrem Ehemann und Vater ihrer minderjährigen Kinder aufgenommen hat, handelte es sich stets um eine nur teilzeitige Tätigkeit. Nach den eingereichten Verdienstbescheinigungen erzielt die Beklagte für eine ca. 100 Stunden im Monat betragende Tätigkeit ein durchschnittliches Nettoeinkommen von 719,16 EUR. Aber auch soweit ihr zumutbar ist, neben dieser Teilzeittätigkeit eine weitere Nebentätigkeit auszuüben, kann bereits nicht unterstellt werden, dass aus einer solchen Nebentätigkeit ein höheres Einkommen fließt als dass der Beklagten insgesamt mehr als 1.000 EUR im Monat zur Verfügung stehen. Wie den Absagen der Firma F. GmbH & Co. sowie des Landgutes G. zu entnehmen ist, hat sich die Beklagte bereits vor der in Verzugsetzung mit dem Kindesunterhalt um eine neue Arbeitsstelle bemüht. Für den Zeitraum ab Ende Mai fehlen nachvollziehbare Darlegungen konkreter Bewerbungsbemühungen, die nach Form, Inhalt und Anzahl dem gerade bei Unterhaltspflichten gegenüber privilegiert Berechtigten - wie de...