Verfahrensgang
LG Neuruppin (Entscheidung vom 27.01.2023; Aktenzeichen 12 KLs 5/22) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss der Vorsitzenden der 2. Strafkammer als große Jugendkammer des Landgerichts Neuruppin vom 27. Januar 2023 aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass sich die sofortige Beschwerde des Rechtsanwalts A... vom 06. Februar 2023 erledigt hat.
Die Kosten der Beschwerdeverfahren und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Landeskasse zur Last.
Gründe
I.
Mit ihrer Anklageschrift vom 22. März 2022 wirft die Staatsanwaltschaft Neuruppin dem Angeklagten den sexuellen Missbrauch von Kindern u.a. in sieben Fällen zum Nachteil der Nebenklägerinnen A... und S... P... vor.
Der Angeklagte hatte bereits im Ermittlungsverfahren Rechtsanwalt A... zum Verteidiger gewählt.
Nach Zulassung der Anklageschrift zur Hauptverhandlung und Eröffnung des Hauptverfahrens durch die 2. Strafkammer als große Jugendkammer des Landgerichts Neuruppin bestimmte die Vorsitzende unter dem 25. August 2022 drei Termine zur Hauptverhandlung auf den 16., 22. und 25. November 2022. Die Termine waren zuvor dem Verteidiger des Angeklagten mitgeteilt worden, dieser hat keine Verhinderung angezeigt.
Die Hauptverhandlung wurde sodann am 16. November 2022, 29. November 2022, am 13. Dezember 2022, am 04. Januar 2023 und am 17. Januar 2023 durchgeführt. Fortsetzungstermin war auf den 31. Januar 2023 bestimmt.
Nach dem 5. Verhandlungstag teilte der Verteidiger dem Gericht unter dem 27. Januar 2023, einem Freitag, mit, dass der Angeklagte das Mandat mit sofortiger Wirkung gekündigt habe und das Mandatsverhältnis damit beendet sei. Weitere Ausführungen enthielt der Schriftsatz nicht.
Noch am selben Tag bestellte die Vorsitzende in Ansehung des bereits am folgenden Dienstag anstehenden nächsten Verhandlungstermin, an dem der Angeklagte sonst unverteidigt gewesen wäre, nach Stellungnahme der Staatsanwaltschaft Neuruppin Rechtsanwalt A... zum Pflichtverteidiger, da dieser der zuvor vom Angeklagten gewählte Verteidiger gewesen sei und Gründe, die einer Beiordnung entgegenstehen könnten, namentlich eine endgültige Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Verteidiger und dem Angeklagten, oder Gründe, die einer angemessenen Verteidigung des Angeklagten durch Rechtsanwalt A... entgegenstehen könnten, weder vorgetragen noch sonst ersichtlich seien.
Am darauffolgenden Verhandlungstag legte der Angeklagte gegen die Pflichtverteidigerbestellung sofortige Beschwerde ein, Rechtsanwalt A... beantragte die Aufhebung seiner Bestellung sowie seine Entpflichtung.
Der Angeklagte trug vor, er könne nicht verstehen, dass der Anwalt, dessen Mandat er gekündigt habe, nun vom Gericht als Pflichtverteidiger bestellt worden sei. Er habe kein Vertrauen mehr zu dem Verteidiger, da zwischen ihnen seit längerem Streit über das Vorgehen im Verfahren bestünde und der Anwalt ihn nicht so verteidige, wie er es wolle. Zudem sei er im letzten Gespräch gegenüber dem Anwalt "ziemlich ausfallend geworden". Aus seiner Sicht hätten sie "überhaupt keinen gemeinsamen Nenner mehr und das Tischtuch" [sei] "mit ihm zerschnitten".
Rechtsanwalt A... trug zur Begründung seines Antrages vor, das Vertrauensverhältnis zwischen Verteidiger und Angeklagtem sei ernsthaft erschüttert, insbesondere sei es zu Beleidigungen gegenüber dem Verteidiger gekommen, die dazu führen würden, dass nicht nur erhebliche Differenzen zur Verteidigungsstrategie bestünden, sondern der Angeklagte sei ihm gegenüber so ausfällig geworden, dass der Verteidigung jede Basis entzogen worden sei. Die Meinungsverschiedenheiten zu den Strategien seien nicht überwindbar, zudem sei es zu persönlichen Differenzen gekommen, die eine angemessene Verteidigung nicht mehr gewährleisten würden. Es gäbe kein Vertrauensverhältnis mehr und der Angeklagte sei der Mandatskündigung nur zuvor gekommen.
Während des weiteren Ganges der Hauptverhandlung konkretisierte bzw. ergänzte der Verteidiger zuvor gestellte Beweisanträge.
Mit Beschluss vom 03. Februar 2023 lehnte die Vorsitzende den Entpflichtungsantrag des Verteidigers ab.
Gegen diesen richtet sich die nicht näher ausgeführte sofortige Beschwerde des Rechtsanwalts A... vom 06. Februar 2023.
Als nächster Hauptverhandlungstermin ist der 16. Februar 2023 bestimmt.
Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg erachtet beide sofortige Beschwerden als unbegründet.
II.
1. Die sofortige Beschwerde des Angeklagten ist zulässig, insbesondere statthaft (§ 142 Abs. 7 Satz 1 StPO) und nicht nach § 142 Abs. 7 Satz 2 StPO ausgeschlossen, da das Rechtsschutzziel des Angeklagten nicht auf Auswechslung eines bestellten Verteidigers gegen einen bestimmten anderen Verteidiger gerichtet ist, sondern sich der Angeklagte allgemein gegen die Bestellung eines bestimmten Verteidigers, nämlich seines vormaligen Wahlverteidigers wendet (vgl. OLG Saarbrücken, Beschluss vom 8. Juli 2021 - 4 Ws 97/21 -; Krawczyk in BeckOK StPO 46. Ed. 1. Januar 2022, § 142 Rn. 45...