Entscheidungsstichwort (Thema)

Untätigkeitsbeschwerde bei tatsächlichem Stillstand des Verfahrens

 

Normenkette

ZPO § 252

 

Verfahrensgang

LG Potsdam (Aktenzeichen 52 O 21/08)

 

Tenor

Die Untätigkeitsbeschwerde der Antragstellerin wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I. Beim LG sind Anfechtungsklagen der hiesigen 20 Antragsgegner gegen einen Beschluss der Hauptversammlung der Antragstellerin anhängig, mit welchem die Aktien der Minderheitsaktionäre gegen Barabfindung auf den Hauptaktionär übertragen wurden ("Squeeze out" gem. § 327a AktG). Die Antragstellerin erstrebt im vorliegenden Verfahren einen Freigabebeschluss gem. § 319 Abs. 6 mit § 327e Abs. 2 AktG. Da sich die Bearbeitung durch das LG verzögerte, hat die Antragstellerin Untätigkeitsbeschwerde erhoben.

II. Die Untätigkeitsbeschwerde ist nicht begründet.

1. Die Beschwerde ist entsprechend § 252 ZPO zulässig.

Diese Vorschrift (und ihre Vorläuferin, § 229 der CPO von 1877) ermöglichte es den Parteien schon immer, im Wege der Beschwerde gegen eine Aussetzung des Verfahrens durch das Gericht vorzugehen, und zwar auch dann, wenn zwar nicht ausdrücklich ausgesetzt, jedoch durch eine andere Entscheidung die nämliche Wirkung hervorgerufen wurde (so bereits das Reichsgericht in: JW 1897, 107 u. 562).

Damit § 252 ZPO nicht - durch schlichtes Nichtstun - umgangen werden kann, muss diese Beschwerdemöglichkeit erst recht dann gegeben werden, wenn gerügt werden soll, dass die Vorinstanz durch ihr Verhalten tatsächlich einen Stillstand herbeigeführt habe, ohne hierfür durch einen Beschluss oder eine andere Äußerung ggü. den Parteien überhaupt eine Begründung abgegeben zu haben. Entscheidend ist nur, dass tatsächlich derselbe Zustand wie bei einer Aussetzung oder Unterbrechung oder wie bei der Anordnung des Ruhens des Verfahrens herbeigeführt wurde (Peters in: Festschrift für Rolf A. Schütze (1999), S. 661 f.; Roth in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 252 Rz. 6; Gehrlein in MünchKomm. ZPO, 3. Aufl., § 252 Rz. 13). Dieses Verständnis des § 252 ZPO ist auch vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Garantie der Effektivität des Rechtsschutzes (dazu: BVerfG, Kammerbeschl. v. 20.9.2007, 1 BvR 775/07) geboten. Der juristischen Konstruktion einer außerordentlichen Beschwerde (so aber: Vollkommer u. Heßler in: Zöller, ZPO, 27. Aufl., Einleitung Rz. 48 und § 567 Rz. 20a) bedarf es daher nicht.

2. Ein solcher tatsächlicher Stillstand des Verfahrens, der einer Aussetzung gleichkäme, liegt hier nicht vor.

Über die im Februar 2008 eingegangene, umfangreiche Sache wurde am 20.5.2008 vor der Kammer für Handelssachen mündlich verhandelt. Dass anschließend erst der Verkündungstermin mehrmals verlegt wurde und dann überhaupt nichts mehr passierte, war der (anhaltenden) Erkrankung des Vorsitzenden der Kammer geschuldet. Die zutage getretenen Rückstände veranlassten das Präsidium des LG, der Kammer für Handelssachen ab August einen anderen Richter zuzuweisen und zusätzlich eine Hilfskammer mit einem weiteren Richter einzurichten, der zunächst mit nur 15 %, ab September 2008 schließlich mit 40 % seiner Arbeitskraft hierfür eingeteilt wurde. Das Freigabeverfahren ist nunmehr bei dieser Hilfskammer anhängig, die allerdings auch noch andere, weitaus ältere Verfahren zu bearbeiten hat, wie sich aus dem Aktenvermerk des Vorsitzenden (Bl. 353) ergibt. Die eingetretene Verzögerung ist also nicht auf Untätigkeit des jetzt zuständigen Richters zurückzuführen und auch in ihrer absoluten Dauer nicht einer Aussetzung gleichzusetzen.

Das LG wird allerdings die nach § 319 Abs. 6 Satz 4 AktG vorgeschriebene Beschlussfassung nachzuholen haben. Freigabeanträge sollen, wie die eben zitierte Vorschrift zeigt, unter möglichster Beschleunigung des Verfahrens entschieden werden.

3. Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen, weil die Kosten der Beschwerde solche des Rechtsstreits sind, für die die Kostenentscheidung in der Hauptsache maßgeblich ist (BGH MDR 2006, 704).

Beschwerdewert: 10.000 EUR.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2106892

MDR 2009, 948

OLGR-Ost 2009, 474

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