Leitsatz (amtlich)

Besondere Umstände für die Beiordnung eines zusätzlichen Verkehrsanwalts im Sinne von § 78 Abs. 4 FamFG können vorliegen bei einer Entfernung von mehr als 100 km zwischen Wohnort des Antragstellers und Gerichtsort sowie bei sehr persönlichen, sensiblen und sich nach allgemeiner Lebenserfahrung erst in einem persönlichen Gespräch hinreichend auffächernden Hintergründen eines Kindschaftsverfahrens. Zudem kann dessen nötige Ausgestaltung als Verfahren einer einstweiligen Anordnung mit äußerst kurzfristigen Reaktionszeiten für ein anzuerkennendes Bedürfnis des Antragstellers sprechen, einen jederzeit und schnell erreichbaren Rechtsanwalt persönlich zu konsultieren, sich von ihm persönlich beraten zu lassen und Rückfragen jederzeit und ohne größere Verzögerungen beantworten zu können und beantwortet zu erhalten.

 

Normenkette

FamFG § 78 Abs. 2, 4

 

Verfahrensgang

AG Zehdenick (Beschluss vom 06.12.2016; Aktenzeichen 32 F 286/16)

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des AG Zehdenick vom 06.12.2016 abgeändert:

Dem Antragsteller wird Rechtsanwältin... beigeordnet mit der Maßgabe, dass die Mehrkosten, die dadurch entstehen, dass die beigeordnete Rechtsanwältin die Kanzlei nicht im Bezirk des Verfahrensgerichts hat, bis zur Höhe der Vergütung eines Verkehrsanwalts am Wohnort des Antragstellers erstattungsfähig sind.

 

Gründe

I. Der Antragsteller, dem das AG Verfahrenskostenhilfe für ein einstweiliges Anordnungsverfahren in einer Umgangssache bewilligt hat, wendet sich gegen die Verweigerung der Beiordnung einer Rechtsanwältin.

II. 1. Die Beschwerde ist nach §§ 76 Abs. 2 FamFG, 127 Abs. 2, 567 ff. ZPO statthaft. Wird die Beiordnung eines Rechtsanwalts vom Gericht abgelehnt, ist dagegen die sofortige Beschwerde statthaft, auch wenn die Entscheidung im zugehörigen Hauptsacheverfahren (hier: einstweilige Anordnung über Umgang) nicht anfechtbar ist (vgl. BGH FamRZ 2011, 1138). Sie ist auch im Übrigen zulässig, denn die Verfahrenskostenhilfepartei kann sich auch gegen die fehlende Beiordnung eines Rechtsanwalts beschweren (vgl. BeckOK ZPO/Kratz ZPO § 127 Rn. 21).

2. Die Beschwerde hat in der Sache Erfolg.

Die Voraussetzungen einer Beiordnung nach § 78 Abs. 2 FamFG liegen vor. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (BGHZ 186, 70), der der Senat folgt, ist entscheidend, ob ein bemittelter Rechtsuchender in der Lage des Unbemittelten vernünftigerweise einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hätte. Geboten ist eine einzelfallbezogene Prüfung, wobei sich das Verfahren für einen Beteiligten auch allein wegen einer schwierigen Sachlage oder allein wegen einer schwierigen Rechtslage so kompliziert darstellen kann, dass auch ein bemittelter Beteiligter einen Rechtsanwalt hinzuziehen würde, sich die Erforderlichkeit zur Beiziehung eines Rechtsanwalts auch nach den subjektiven Fähigkeiten des betroffenen Beteiligten beurteilt und eine anwaltliche Vertretung anderer Beteiligter unter dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit ein weiteres Kriterium für die Erforderlichkeit zur Beiordnung eines Rechtsanwalts wegen der Schwierigkeiten der Sach- oder Rechtslage sein kann.

Hier bestand eine verfahrensrechtlich überdurchschnittlich schwierige Lage insoweit, als dem Antragsteller nach seinem Telefonat mit der Antragsgegnerin am 02.12.2016 (18) nur noch das Verfahren der einstweiligen Anordnung (§§ 49 ff FamFG) offen stand, um die avisierten Umgänge, beginnend am 23.12.2016, regeln zu lassen. In Ansehung der damit verbundenen besonderen Dringlichkeit liegt es nahe, dass auch ein bemittelter Rechtsuchender vernünftigerweise einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hätte, zumal es im einstweiligen Verfahren wegen der dortigen Begrenzungen der Zeit und der Erkenntnismöglichkeiten innerhalb des Verfahrens in besonderem Maße auf zutreffenden Vortrag und verfahrensrechtlich fehlerfreies Verhalten ankommt und hier darüber hinaus mit ganz überdurchschnittlich kurzen Reaktionszeiten zu rechnen war.

Abgesehen von den damit verbundenen verfahrensrechtlich überdurchschnittlichen Schwierigkeiten, war auch die Sachlage überdurchschnittlich schwierig. Der erstrebte Umgang Beschluss betraf 4 Kinder in einer Altersspanne von 10 bis einem Jahr, so dass eine Vielzahl von je nach Altersstufe unterschiedlich zu gewichtenden Aspekten des Kindeswohls, allen voran Vertrautheit, Bindung und Belastbarkeit des jeweiligen Kindes, relevante werden konnten. Auch insoweit hätte sich ebenfalls für einen bemittelten Rechtssuchenden vernünftigerweise die Beauftragung eines Rechtsanwalts mit der Wahrnehmung seiner Interessen aufgedrängt.

Hinzu tritt, dass dem Antragsteller andere professionelle Hilfen, namentlich eine Beratung und Unterstützung bei der Ausübung des Umgangsrechts durch das Jugendamt (§ 18 Abs. 3 Satz 3 SGB VIII), nicht offen stand, wie sich schon aus der Antragsschrift ergab.

3. Die auswärtige Rechtsanwältin konnte in erweitertem Umfang (vgl. hierzu Senat, Beschluss vom 21.10.2016 -...

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