Tenor

1. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Amtsgerichts Perleberg vom 23.10.2019, Az. 6 VI 357/18, aufgehoben. Das Amtsgericht Perleberg wird angewiesen, dem Antragsteller den beantragten, sein und das Erbrecht der Frau E... R... zu je 1/2 des Gesamtnachlasses ausweisenden, Erbschein zu erteilen.

2. Von der Erhebung der Kosten für das Beschwerdeverfahren wird abgesehen. Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens haben der Antragsteller und die Beteiligte zu 4 je zur Hälfte zu tragen. Ihre außergerichtlichen Kosten tragen sie selbst.

3. Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 60.000 EUR.

 

Gründe

I. Die Beteiligten streiten in einem Erbscheinverfahren um die Erbfolge nach dem Erblasser.

Der Erblasser und seine im Jahr 2007 vorverstorbene Ehefrau G... setzten sich mit gemeinschaftlichem Testament vom 22.09.2004 gegenseitig zu Alleinerben und die Nichte des Erblassers, S... M..., geb. W..., zur Schlusserbin ihres gemeinsamen Nachlasses ein. Nachdem S... M... am ... .04.2008 ebenfalls verstorben war, testierte der Erblasser am 26.09.2009 in der Form neu, dass er den Antragsteller und die allerdings am ... .05.2016 ebenfalls vorverstorbene Schwester U... H..., als deren Ersatzerbin ihre Tochter, die Beteiligte zu 2, (sinngemäß) zu gleichen Teilen als Erben einsetzte.

Der Antragsteller beantragt, ihm einen Erbschein auf der Grundlage der letztwilligen Verfügung vom 26.09.2009 zu erteilen. Die Beteiligte zu 4 macht hingegen geltend, die nämliche letztwillige Verfügung sei unwirksam, weil der Erblasser noch an das wechselbezügliche Anordnungen enthaltende Ehegattentestament aus dem Jahr 2004 gebunden gewesen sei.

Das Amtsgericht hat den Erbscheinantrag des Beteiligten zu 1 mit dem angefochtenen Beschluss zurückgewiesen und ist insoweit mit näheren Ausführungen dem Rechtsstandpunkt der Beteiligten zu 4 gefolgt.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers, der meint, das Ehegattentestament habe mit dem Tod der eingesetzten Schlusserbin seine Bindungswirkung verloren, so dass der Erblasser seine Testierfreiheit zurückgewonnen habe.

Das Amtsgericht hat der Beschwerde ohne inhaltliche Auseinandersetzung mit den Beschwerdegründen nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

II. Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte, Beschwerde des Beteiligten zu 1 erweist sich auch als begründet. Die Erbfolge nach dem Erblasser richtet sich nach dem Inhalt dessen wirksamen Testamentes vom 26.09.2009.

1. Es ist bereits nicht anzunehmen, dass die Einsetzung der Nichte des Erblassers zur Schlusserbin des gemeinsamen Nachlasses der Ehegatten durch das Testament vom 22.09.2004 im Sinne von § 2270 Abs. 1 BGB wechselbezüglich zur Einsetzung des Erblassers zum Erben seiner vorverstorbenen Ehefrau war. Ist nämlich der Schlusserbe nur mit dem überlebenden Ehegatten verwandt, entspricht es der Lebenserfahrung, dass der vorversterbende Ehegatte seinem Partner regelmäßig das Recht belassen will, als Überlebender jederzeit die Einsetzung des Schlusserben zu ändern, insbesondere im Fall einer Verschlechterung seiner persönlichen Beziehungen zu dem Bedachten (BayObLG FamRZ 1985, 1287; FamRZ 1991, 1232; OLG Hamm FamRZ 2010, 1201; KG OLGZ 93, 398; OLG München FamRZ 2007, 2111). So liegt der Fall auch hier. Dafür, dass die Eheleute W... bei Abfassung ihres Testamentes abweichende Vorstellungen hatten, ist nichts ersichtlich.

2. Nachdem die eingesetzte Schlusserbin vorverstorben ist, unterliegt das Ehegattentestament zudem der Auslegung dahingehend, ob die Ehegatten einen Ersatzerben eingesetzt haben oder, hätten sie den Tod der Nichte bedacht, eingesetzt hätten. Die Auslegungsregel gemäß § 2270 Abs. 2 BGB ist nur dann (sofern kein entgegenstehender Testierwille besteht) anwendbar, wenn sich die Einsetzung des Ersatzerben durch entsprechende Auslegung zweifelsfrei feststellen lässt, nicht jedoch, wenn die Annahme der Ersatzerbeneinsetzung allein auf der Auslegungsregel des § 2069 BGB beruht (vgl. zum Ganzen OLG München NJW-RR 2017, 907; OLG Hamm NJW-RR 2019, 718; Palandt/Weidlich, BGB, 79. Aufl., § 2270 Rz. 10). Eine Kumulation der Auslegungsregel des § 2069 BGB mit derjenigen des § 2270 Abs. 2 BGB ist nicht gerechtfertigt (BGH NJW 2002, 1126; OLG Schleswig NJW-RR 2014, 73; OLG Frankfurt/Main FamRZ 2016, 1012). Für die Annahme, die Ehegatten hätten einen Ersatzerben für die eingesetzte Schlusserbin einsetzen wollen, spricht jedoch nach dem Inhalt des streitgegenständlichen Testamentes nichts; eine derartige deutet sich darin nicht einmal ansatzweise an. Im Übrigen liegen auch die Voraussetzungen gemäß § 2069 BGB nicht vor, da es sich bei der eingesetzten Schlusserbin um keinen Abkömmling des Erblassers handelt, und diese Vorschrift wäre zudem - wie ausgeführt - im Zusammenspiel mit § 2270 Abs. 2 BGB nicht anwendbar.

3. Das Ehegattentestament vom 22.09.2004 entfaltet vor dem Hintergrund des Vorstehenden keine Rechtswirkungen mehr, ist vielmehr (spätestens, d.h. soweit übe...

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