Verfahrensgang

LG Frankfurt (Oder) (Entscheidung vom 20.12.2013; Aktenzeichen 27 Ns 36/13)

AG Bernau (Entscheidung vom 13.02.2013; Aktenzeichen 2 Ds 621/12)

 

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 7. Strafkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 20. Dezember 2013 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht Bernau bei Berlin verurteilte den Angeklagten am 13. Februar 2013 wegen (vorsätzlichen) Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit einem fahrlässigen Verstoß gegen das Pflichtversicherungsgesetz zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten und verhängte eine Sperre für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis von einem Jahr.

Die dagegen eingelegte Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Frankfurt (Oder) mit Urteil vom 20. Dezember 2013 als unbegründet verworfen. Das Urteil erging in Abwesenheit des Angeklagten. Die Urteilsgründe weisen aus, dass der Angeklagte zur Berufungshauptverhandlung unentschuldigt nicht erschienen ist. Gleichwohl fand eine Hauptverhandlung i.S.d. § 324 StPO statt, nachdem der Verteidiger mündlich erklärte, über eine besondere Vertretungsvollmacht durch den Angeklagten zu verfügen und für ihn verhandeln zu wollen.

Gegen das Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen Rechts rügt. Er beanstandet insoweit, dass unter Verletzung seines Anwesenheitsrechts sowie der diesbezüglichen Hinweispflicht des Gerichts zur Sache verhandelt worden sei. Das Gericht habe dadurch versäumt, sich einen Eindruck von seiner Person zu verschaffen. Außerdem hat er die Sachrüge erhoben.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Revision des Angeklagten als unbegründet zu verwerfen.

II.

Das Rechtsmittel hat (vorläufig) Erfolg. Bereits die zulässig erhobene Verfahrensrüge, die Hauptverhandlung habe in unzulässiger Weise in Abwesenheit des Angeklagten stattgefunden (§ 338 Nr. 5 StPO), greift durch.

Das Landgericht hätte nicht in Abwesenheit des Angeklagten zur Sache verhandeln dürfen, sondern angesichts des festgestellten, unentschuldigten Fehlens die Berufung gemäß § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO verwerfen müssen. Ein Ermessen, anders zu entscheiden, besteht nicht. Einer Verwerfung nach dieser Vorschrift stand nicht entgegen, dass ein vertretungsbereiter Verteidiger zur Berufungshauptverhandlung erschienen war, und zwar unabhängig davon, ob dieser zum Zeitpunkt der Berufungshauptverhandlung eine entsprechende schriftliche Bevollmächtigung nachweisen konnte (vgl. dazu OLG Braunschweig, Beschluss vom 19. März 2014 - 1 Ss 15/14 -, zit. nach juris). Eine den Anwendungsbereich des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO in derartigen Fällen einschränkende, im Hinblick auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 8. November 2012 (StraFO 2012 S. 490 ff.) konventionsfreundliche Auslegung ist nicht möglich. Dies verstieße gegen den eindeutigen Wortlaut, den Willen des historischen Gesetzgebers, den Gesetzeszweck und die derzeitigen Strukturprinzipien der Strafprozessordnung (vgl. jeweils m.w.N.: Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 9. September 2013 - 1 Ss 84/13-; Mosbacher, NStZ 2013 S. 312 ff.; Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz, Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Rechts auf Vertretung durch einen Verteidiger in der Berufungshauptverhandlung, S. 33 ff.). Dieser Verfahrensverstoß macht die Aufhebung des Urteils notwendig (§ 338 Nr. 5 StPO).

Der Rüge steht nicht entgegen, dass die Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten auf Bestreben des Verteidigers durchgeführt wurde. Der im bundesdeutschen Strafprozess geltende Anwesenheitsgrundsatz ist - mit Ausnahme der gesetzlich eng normierten Fälle des § 411 Abs. 2 und § 232 Abs. 1 StPO - nicht disponibel und kann daher nicht dadurch verwirkt werden, dass der Verteidiger auf eine Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten gedrängt hat (vgl. insoweit zur Rügeverwirkung bei dysfunktionalem Verhalten Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 337 Rn. 210 m.z.w.N.).

Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass auch die Beweiswürdigung lückenhaft ist. Dem angefochtenen Urteil lässt sich nicht entnehmen, worauf die Feststellung beruht, dass für das vom Angeklagten geführte Fahrzeug keine Haftpflichtversicherung bestand. Darüber hinaus begegnet auch die Strafzumessung ernsthaften rechtlichen Bedenken.

Nach § 47 Abs. 1 StGB verhängt das Gericht eine Freiheitsstrafe unter sechs Monaten nur, wenn besondere Umstände, die in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters liegen, die Verhängung einer Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich machen. Das Vorliegen der Ausnahmevoraussetzungen des § 47 Abs. 1 StGB darf dabei nicht schematisch aus einschlägigen Vorstrafen und Bewährungsbrüchen geschlos...

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