Leitsatz (amtlich)

1. Ein Bieter muss die Rüge, der Auftraggeber habe in unzulässiger Weise nachträglich eine Mindestanforderung mit dem Ziel geändert, einem Konkurrenten den Verbleib im Vergabeverfahren zu ermöglichen, unverzüglich nach Zugang einer entsprechenden Bieterinformation des Auftraggebers erheben, nicht erst dann, wenn der Bieter Kenntnis davon erlangt, welcher Konkurrent konkret hiervon begünstigt worden ist.

2. Die Rüge, das Angebot eines Konkurrenten erfülle die Mindestanforderungen nicht, muss unverzüglich nach Erlangung der Kenntnis von der Teilnahme des Konkurrenten am Vergabeverfahren erhoben werden, nicht erst dann, wenn der Auftraggeber mitteilt, dass er beabsichtige, diesem Konkurrenten den Auftrag zu erteilen.

3. Ist die dem Bieter im Verhandlungsverfahren gesetzte Frist zur Abgabe eines abschließenden Angebots eine Ausschlussfrist, ist ein verspätetes Angebot zwingend auszuschließen.

4. Der Bieter, der ein verspätetes Angebot abgegeben hat, kann nicht geltend machen, dass ein Zuschlag unterbleiben müsse, weil alle anderen Angebote ebenfalls einem Ausschluss unterliegen können.

 

Normenkette

GWB § 97 Abs. 7, § 107 Abs. 3; VOL/A-SKR § 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. e

 

Verfahrensgang

Vergabekammer des Landes Brandenburg (Beschluss vom 19.12.2008; Aktenzeichen VK 40/08)

 

Tenor

Der Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss der Vergabekammer des Landes Brandenburg vom 19.12.2008 (VK 40/08) bis zur Entscheidung über die Beschwerde zu verlängern, wird zurückgewiesen.

Der Antragstellerin wird aufgegeben, sich binnen drei Wochen zu erklären, ob die sofortige Beschwerde zurückgenommen wird.

 

Gründe

I. Die Auftraggeberin ist der Verkehrsbetrieb der Landeshauptstadt Potsdam und betreibt dort den öffentlichen Personennahverkehr. Sie betreibt zurzeit 16 niederflurige Straßenbahnwagen vom Typ C. und 38 hochflurige Straßenbahnen vom Typ T. K.. Durch eine Ersatzbeschaffung von behindertengerechten Niederflurfahrzeugen sollen die K. Straßenbahnen vollständig ersetzt werden.

Zu diesem Zweck schrieb die Auftraggeberin im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 20.12.2007 den Abschluss einer Rahmenvereinbarung über die Lieferung von Niederflurstraßenbahnen mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb im Verhandlungsverfahren nach der EG-Sektorenrichtlinie (3. Abschnitt der VOL/A) in zwei Losen europaweit aus. Los 1 umfasst den wagenbaulichen Teil, Los 2 den elektrischen Teil. Der geschätzte Gesamtauftragswert der Beschaffungsmaßnahme liegt bei 45,6 Mio. EUR (netto). Varianten/Alternativangebote waren zugelassen.

Um die Teilnahme am Wettbewerb bewarben sich zehn Unternehmen. Mit Schreiben vom 5.2.2008 forderte die Auftraggeberin alle 10 Bewerber zur Abgabe eines Angebotes auf.

Nebenangebote/Änderungsvorschläge über umweltverträgliche Lieferungen/Leistungen sowie sonstige Nebenangebote/Änderungsvorschläge waren auch ohne Hauptangebot zugelassen. Dem Aufforderungsschreiben waren Erläuterungen für die Angebotsabgabe und besondere Vertragsbedingungen beigefügt. Nach deren Ziff. 2 - Allgemeine Vertragsbedingungen - war u.a. das Lastenheft Potsdam - Bearbeitungsstand: 14.1.2008 - (Lastenheft) dem Angebot als Vertragsbestandteil zugrunde zu legen.

In Teil A des Lastenheftes, das die technischen Leistungsspezifikationen enthält, heißt es:

2.1

... Der AN muss über ausreichende Erfahrungen in der Herstellung von Straßenbahn- bzw. Stadtbahnfahrzeugen verfügen. Es müssen mindestens 20 Fahrzeuge des angebotenen Typs bereits in Eigenfertigung hergestellt sein ...

Ziff. 3.3 Antriebskonzept mechanisch und elektrisch

... Fahrwerke aus Einzel-Achsen oder nicht gekoppelten Einzelradpaaren sind nicht zugelassen ... Zwecks Minimierung der unabgefederten Massen sind die Fahrmotoren mit dem Fahrwerksrahmen kraftschlüssig verbunden ...

Ziff. 6.2 Lastannahmen

... Der Nachweis, dass alle tragenden Teile des Wagenkasten-Rohbaues und der Fahrwerke bezüglich der auf sie wirkenden Beanspruchungen den Lastannahmen der VDV-Schrift 152 und der DIN EN 12 663 entsprechen, ist zu erbringen ... Ein entsprechender Betriebsfestigkeitsnachweis ist mit Angebotsabgabe vorzulegen ...

Ziff. 8.3 Wagenbauliche Daten ...

Gangbreite

im Fahrwerksbereich ≫ 600 mm

im Übrigen Bereich 750 mm ≫ 750 mm

Mit Bieterrundschreiben der Auftraggeberin vom 22.2.2008 wurde die in Ziff. 2.1 des Lastenheftes enthaltene Eigenfertigungsanforderung von Fahrzeugen wie folgt ergänzt:

"Angebote werden im weiteren Verfahren nur dann zugelassen, wenn die genannten 20 Referenzfahrzeuge weitgehend in Bauart, Länge und Hauptbaugruppen mit den geforderten Kapazitäten (Sitz- und Stehplätze) übereinstimmen und bereits in Eigenfertigung hergestellt wurden."

Durch Bieterinformation vom 31.3.2008 wurde mitgeteilt, dass Nebenangebote (Alternativlösungen) die Mindestbedingungen des Lastenheftes erfüllen müssten. Darüber hinaus wurde klargestellt, dass es sich bei der Vorgabe, wonach mindestens 20 Fahrzeuge des angebotenen Typs bereits in Eigenfertigung h...

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