Verfahrensgang
AG Zossen (Entscheidung vom 01.06.2022; Aktenzeichen 143 OWi 485 Js 31943/21) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Zossen vom 01. Juni 2022 aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Zossen zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Zossen erkannte mit Urteil vom 01. Juni 2022 gegen den straßenverkehrsrechtlich vorbelasteten Betroffenen wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 48 km/h auf eine Geldbuße in Höhe von 195,00 € und - unter Einräumung der Gestaltungsmöglichkeit des § 25 Abs. 2 a StVG - ein einmonatiges Fahrverbot.
Den Feststellungen des Amtsgerichts zufolge hatte der Betroffene am 25. März 2021 um 17:57 Uhr mit dem Pkw Ford Transit, amtliches Kennzeichen: ..., die Landstraße L 79 in W... auf Höhe des Abschnitts 80 bei km 2,0 in Fahrtrichtung G... mit einer Geschwindigkeit von - nach Toleranzabzug - 118 km/h befahren, obwohl die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 70 km/h beschränkt gewesen war.
Noch am 01. Juni 2022 übersandte der Bußgeldrichter die Akte und zugleich das Protokollurteil "gemäß § 41 StPO" der Staatsanwaltschaft Potsdam. Dort gingen sie am 02. Juni 2022 ein. Mit Verfügung vom 07. Juni 2022 sandte die Staatsanwaltschaft die Akten unter Rechtsmittelverzicht zurück. Unter dem 02. Juni 2022 legte der Betroffene Rechtsbeschwerde gegen die amtsgerichtliche Entscheidung ein. Das mit Gründen versehene Urteil gelangte am 17. Juni 2022 zu den Akten. Hierzu erfolgten die neuerliche Zustellung gemäß § 41 StPO an die Staatsanwaltschaft und deren neuerliche Zurücksendung unter Rechtsmittelverzicht.
Das mit Gründen versehene Urteil wurde dem Verteidiger des Betroffenen, dessen Vollmacht sich bei den Akten befand, am 06. Juli 2022 gegen Empfangsbekenntnis und (rechtsfehlerhaft) am 21. Juni 2022 dem Betroffenen persönlich gegen Zustellungsurkunde förmlich zugestellt. Mit Anwaltsschriftsatz vom 06. Juli 2022, der am selben Tag bei dem Amtsgericht einging, begründete der Betroffene seine Rechtsbeschwerde. Er rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg beantragt mit ihrer Stellungnahme vom 16. August 2022 sinngemäß, das angegriffene Urteil des Amtsgerichts Zossen vom 01. Juni 2022 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Zossen zurückzuverweisen. Der Betroffene hatte Gelegenheit zur Stellungnahme.
II.
1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 79 Abs. 1 Ziff. 2 OWiG statthaft und entsprechend den Bestimmungen der §§ 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, 341, 344, 345 StPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, sonach zulässig.
2. In der Sache hat das Rechtsmittel - vorläufig - Erfolg.
Da das der Staatsanwaltschaft Potsdam mit richterlicher Verfügung vom 01. Juni 2022 am 02. Juni 2022 gemäß § 41 StPO (in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG) förmlich zugestellte und deshalb für die Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht allein maßgebliche Urteil entgegen §§ 71 Abs. 1 OWiG, 267 Abs. 1 StPO keine Gründe enthält, ist dem Rechtsbeschwerdegericht eine Überprüfung dieser Entscheidung nicht möglich. Daher unterliegt dieses Urteil der Aufhebung, denn auch ein Urteil ohne Gründe entfaltet Rechtswirksamkeit (BGH NJW 2004, 3643) und kann folglich mit der Rechtsbeschwerde angegriffen werden.
Gründe, die es dem Tatgericht ermöglichten, von einer Begründung des Urteils abzusehen, lagen nicht vor; insbesondere ist kein Fall von § 77 b Abs. 1 OWiG gegeben. Von einer schriftlichen Urteilsbegründung kann nach dieser Vorschrift nur abgesehen werden, wenn alle zur Anfechtung Berechtigten auf die Einlegung eines Rechtsmittels verzichten oder innerhalb der hierfür vorgesehenen Frist keine Rechtsbeschwerde eingelegt wird oder wenn die Verzichtserklärungen entbehrlich sind und die Staatsanwaltschaft nicht vor der Hauptverhandlung eine Begründung des Urteils beantragt hat (§ 77 b Abs. 1 S. 1 und 2 OWiG). Die Verzichtserklärung der Staatsanwaltschaft ist entbehrlich, wenn sie nicht an der Hauptverhandlung teilgenommen hat (§ 77 b Abs. 1 S. 2 1. Hlbs. OWiG). Die Verzichtserklärung des Betroffenen ist nur entbehrlich, wenn er von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden, in der Hauptverhandlung von einem Verteidiger vertreten wurde und im Urteil eine Geldbuße von nicht mehr als 250,00 € festgesetzt worden ist (§ 77 b Abs. 1 S. 3 OWiG).
Zwar war vorliegend die Verzichtserklärung der Staatsanwaltschaft entbehrlich, da diese an der Hauptverhandlung nicht teilgenommen und vor der Hauptverhandlung eine schriftliche Urteilsbegründung nur für den Fall beantragt hatte, dass auf Freispruch erkannt oder von einem Fahrverbot abgesehen wurde. Nicht entbehrlich war indessen die Verzichtserklärung des Betroffenen, weil die Voraussetzungen des § 77 b Abs. 1 S. 3 OWiG hierfür nicht vorlagen, insbesonde...