Leitsatz (amtlich)
Den Ausführungen zu einer Beweiswürdigung muss sich entnehmen lassen, welche Wahrnehmungen der Tatrichter bei Inaugenscheinnahme von Videoaufzeichnungen gemacht hat. Zum einen ist eine Bezugnahme nur wegen Einzelheiten erlaubt, zum anderen darf nur auf Abbildungen (hier: Videoaufzeichnungen) verwiesen werden, die Bestandteil der Akte sind. Die Schilderung des Aussagegehalts einer Videoaufzeichnung darf auch bei einer Bezugnahme nicht ganz entfallen. Eine Beschreibung des Wesentlichsten in knapper Form ist erforderlich.
Fehlerhafte Beweiswürdigung einer Videoaufzeichnung- § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO- Die Schilderung des Aussagegehalts der Videoaufzeichnung darf auch bei einer Bezugnahme nicht ganz entfallen.
Verfahrensgang
AG Potsdam (Entscheidung vom 20.02.2009) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Potsdam - Jugendrichter - vom 20. Februar 2009 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Potsdam - Jugendrichter - zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Potsdam - Jugendrichter - hat den bisher strafrechtlich nicht in Erscheinung getretenen Angeklagten mit Urteil vom 20. Februar 2009 wegen Verstoßes gegen das Vermummungsverbot (§§ 27 Abs. 2 Nr. 2, 17a Abs. 2 Nr. 1 VersammlungsG) verwarnt und ihm die Auflage erteilt, innerhalb von sechs Monaten ab Rechtskraft der Entscheidung 30 Stunden gemeinnützige Arbeit nach näherer Weisung der Jugendgerichtshilfe Potsdam-Stadt zu leisten. Den Urteilsfeststellungen zu Folge habe der Angeklagte am 1. Dezember 2007 in Berlin-Rudow einer Gruppe "von mindestens zwei Demonstranten" angehört und schließlich "in Erwartung" einer "Demonstration der rechten Szene" ein rotes Transparent mit dem Text "Antifaschistische Aktion" ausgerollt. Der Angeklagte und sein Begleiter hätten sich friedlich verhalten. Der Angeklagte habe "einen dunklen Schlauchschal" über Mund und Nase sowie eine dunkle Kapuze derart in die Stirn gezogen, dass nur noch ein schmaler Streifen seines Gesichtes in Höhe seiner Augen erkennbar gewesen sei.
Mit Anwaltschriftsatz vom 20. Februar 2009, eingegangen bei Gericht am selben Tag, hat der Angeklagte Rechtsmittel eingelegt. Nach förmlicher Zustellung der Urteilsgründe am 14. April 2009 hat sich die Angeklagte mit der bei Gericht am 7. Mai 2009 eingegangenen anwaltlichen Begründungsschrift auf das Rechtsmittel der Revision festgelegt. Die Angeklagte rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts, ist vor allem der Auffassung, dass §§ 27 Abs. 2 Nr. 1, 17a Abs. 2 Nr. 1 VersammlungsG gegen Art. 5 GG und Art. 8 GG verstoßen und erstrebt eine Freispruch.
II.
1.
Die Revision ist gem. § 335 StPO, § 55 JGG als sog. Sprungrevision statthaft und gem. §§ 341, 344, 345 StPO frist- und formgerecht bei Gericht angebracht worden.
2.
Die Revision hat in der Sache - vorläufigen - Erfolg und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Potsdam.
Auf die vom Revisionsführer erhobenen Verfahrensrügen braucht der Senat nicht einzugehen, da schon die Sachrüge erfolgreich ist und zur Aufhebung des Schuldspruchs führt.
a)
Die vom Jugendrichter getroffenen Feststellungen sind unzureichend und tragen eine Verurteilung wegen Verstoßes gegen das Vermummungsverbot nicht.
Den Urteilsgründen kann schon nicht entnommen werden, ob der Angeklagte überhaupt an einer Versammlung teilgenommen hat. Nach der Definition des Bundesverfassungsgerichts ist eine Versammlung im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG, und damit auch des § 1 Abs. 1 VersammlungsG, eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung (BVerfGE 104, 92, 104 m.w.N.). Hinsichtlich der notwendigen Teilnehmerzahl hat die frühere Rechtsprechung "eine größere Anzahl" von Personen verlangt (vgl. RGSt 21, 71; RGSt 46, 31), während heute "mindestens drei Personen" eine Versammlung bilden (vgl. BayObLGSt 1965, 157; BayObLGSt 1979, 11; OLG Düsseldorf NStZ 1981, 226; OLG Hamburg MDR 1965, 319; OLG Köln MDR 1980, 1040; AG Tiergarten JR 1979, 207; BGH GA 1981, 521; BVerfGE 104, 92; von Münch-Kunig, GG 5. Aufl. 2000, Art. 8 GG, Rdnr. 13; Hoffmann-Riem, Alternativkommentar GG, 2. Aufl. 1989, Art. 8 Rdnr. 12; BK-Benda, GG, Loseblatt, Stand 5/95, Art. 8 Rdnr. 21). Soweit im amtsgerichtlichen Urteil festgestellt ist, dass der Angeklagte "zu einer Gruppe von mindestens zwei Demonstranten" gehörte (Bl. 2 UA), besteht die Möglichkeit, dass die Gruppe, der der Angeklagte angehörte nur zwei Personen umfasste. Damit würde es sich nicht um eine Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes handeln, mithin wäre dessen Anwendungsbereich nicht eröffnet.
Den Urteilsgründen kann auch nicht entnommen werden, ob es zu einem Zusammentreffen der "Demonstration der rechten Szene" mit der "Gegendemonstration" ...